Stefan Pucher

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Stefan Pucher (* 1965 in Gießen) ist ein deutscher Theaterregisseur.

Von 1988 bis 1994 studierte Pucher Theaterwissenschaft und Amerikanistik an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main.[1][2] In Frankfurt arbeitete er zeitweise auch als DJ.[3] Anfang der 1990er brachte er außerdem zusammen mit dem Schauspieler Frank Riede das im Selbstverlag erschienene Theater-Fanzine „Fake“ heraus.[4]

Er ging viel ins Kino und beschäftigte sich mit der Frage, was Schauspiel nach dem bürgerlichen Illusionstheater sein kann: Was bedeuten „Rolle“ und „Abbild“, wenn man hinaus will über das psychologisierende Theater der Tradition, was leistet das Theater im Verhältnis zum Film und wie kann es zeitgemäß bleiben? Bald brachte er ein Theaterfanzine heraus („Fake“ 1989–93) und begann mit ersten Performance-Projekten, inspiriert von Wooster Group und Needcompany, von Einar Schleef, von den Texten Rolf Dieter Brinkmanns und immer wieder vom Pop als Musik und Lebensgefühl. Als der damalige Intendant des Theater am Turm (TAT) in Frankfurt/M., Tom Stromberg, auf ihn aufmerksam wurde, folgten freie Projekte am TAT, unter anderem mit der deutsch-englischen Theatergruppe Gob Squad, in denen er in Samplings Musik, Videos und Texte in Cut-up`s mixte und mit leiblicher Präsenz und medialer Vermittlung experimentierte.

Nach Abenden auf Kampnagel in Hamburg und im Berliner Podewil wurde die Theaterwelt durch die Performance 15 Minutes To Comply auf Pucher aufmerksam, eine Arbeit, mit der er zusammen mit Gob Squad auf Einladung von Tom Stromberg bei der documenta X in Kassel 1997 die Zuschauer in eine unterirdische Straßenbahn-Haltestelle holte. Es folgte der in den 1990er Jahren noch ungewöhnliche Schritt vom freien Theater in die Stadt- und Staatstheater. Nach ersten Projekten an den wichtigsten Häusern der 1990er Jahre Berliner Volksbühne und Deutsches Schauspielhaus in Hamburg nahm Pucher die Herausforderung an und inszenierte zum ersten Mal dramatische Literatur: Tschechows Der Kirschgarten am Theater Basel (1999). Sein lässiges Spiel mit den subkulturellen Stilmitteln aus der freien Szene sorgte im Staatstheater für große Aufmerksamkeit. Nach weiteren vielbeachteten und umstrittenen Inszenierungen (Die Möwe am Deutschen Schauspielhaus Hamburg und Drei Schwestern am Schauspielhaus Zürich) engagierte ihn der Zürcher Intendant Christoph Marthaler – wie Pucher ein Theatermann aus der freien Szene –, als Hausregisseur ans Schauspielhaus Zürich (2000–2004). Pucher brach die Ästhetik der Guckkastenbühne konsequent auf mit Schauspielern, die nicht miteinander sprachen, sondern zum Publikum, die ihre Gefühle ausstellten statt sie zu verkörpern.

Stefan Pucher inszeniert bis heute regelmäßig an den wichtigsten Häusern im deutschsprachigen Raum: an den Münchner Kammerspielen, am Thalia Theater Hamburg, Wiener Burgtheater, Deutschen Schauspielhaus in Hamburg, Schauspiel Frankfurt, am Deutschen Theater Berlin. Sein Theater ist ein Spiel mit dem Illusionsraum der Bühne, mit Identität und Sinnlichkeit, eine Prüfung der Zeitgenossenschaft des Theaters durch Einsatz von Textsamplings, Video und Musik. Er arbeitete immer wieder mit den großen Schauspielern dieser Häuser wie Josef Ostendorf, Jens Harzer, Alexander Scheer, Wolfram Koch, Wolfgang Pregler, Bettina Stucky und Wiebke Puls. Mit seinen Bühnenbildnern Barbara Ehnes und Stéphane Laimé, seiner Kostümbildnerin Annabelle Witt und den Videokünstlern Chris Kondek und Meika Dresenkamp verbindet ihn eine langjährige Zusammenarbeit. Mit dem amerikanischen Videokünstler Chris Kondek, der mit der Wooster Group, mit Laurie Anderson und der Choreografin Meg Stuart gearbeitet hatte, entwickelte Pucher eine maßgebliche Ästhetik der Doppelung und Brechung vom Bild des Schauspielers auf der Bühne und im Video. Dadurch entstand paradoxerweise auf medialem Wege eine große Intimität, die so im Theater durch die räumliche Entfernung und gleich bleibende Blickachse des Zuschauers zum Darsteller traditionell nicht hergestellt werden kann. In seiner Hamburger Othello-Inszenierung gelang damit ein raffiniertes Spiel zwischen Othello als souveränem Militär und Glamour-Popstar auf der Bühne und einem emotional überforderten Liebenden in der intimen Nahaufnahme der Videos. Das Spiel mit den Klischee-Erwartungen im Publikum begann damit, dass Jago, der „Böse“, als erfolgreicher Geschäftsmann in Anzug und Krawatte aus dem Publikum heraus als einer der ihren sprach – und das in der Kaufmannsstadt Hamburg. Nach der Theaterpause ging es nicht auf der Bühne weiter, sondern in Hamburg auf der Straße vor dem Theater. Während Othello im coolen Boxermantel vorbeilief, kam es zum Mord an Rodrigo auf offener Straße – und die Zuschauer standen als ebenso faszinierte wie verunsicherte Voyeure des Geschehens daneben.

Neben den Inszenierungen dramatischer Literatur entwickelte Pucher immer wieder Projekte mit Text-Samplings und Live-Musik, wie Andersen. Trip zwischen Welten (2010) mit der Musik von Carsten „Erobique“ Meyer und Matthias „Tex“ Strzoda oder Charles Manson: Summer of Hate – Das Musical. Ein musikalischer Trip zwischen L.A. und dem Death Valley (2014) mit der Band Trümmer unter der musikalischen Leitung von Christopher Uhe. Mit Christopher Uhe verbindet ihn eine langjährige musikalische Zusammenarbeit.

Wurden seine Inszenierungen von Teilen der Presse und des Publikums als „Poptheater“ mit einer für die Bühne unpassenden „VIVA-Ästhetik“ abgetan, wurden andererseits bald Puchers Textarbeit, sein progressiver Videoeinsatz, seine Innovationen bei Musik, Bühnenbild und Kostümen mit Einladungen zum Berliner Theatertreffen geehrt. Der in die Tiefe gehenden Textexegese des psychologischen Theaters stellt Pucher ein Theater entgegen, in dem sich Bild und Musik emanzipiert haben und die Präsenz der Oberfläche nicht Oberflächlichkeit bedeutet, sondern Intensität: Ausdruck eines Theaters, das auch zu Beginn des 21. Jahrhunderts seine Relevanz behauptet.

Einladungen zum Berliner Theatertreffen:

2005 wurde Stefan Pucher von den Kritikern der Theaterzeitschrift Theater heute für seine Inszenierung von Shakespeares Othello am Deutschen Schauspielhaus Hamburg zum „Regisseur des Jahres“ gewählt.[1]

Lehrtätigkeiten

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  • 2008/2009: Stiftungsprofessur für „Szenische Künste“ an der Universität Hildesheim
  • Marvin Carlson: Theatre is more beautiful than war: German stage directing in the late twentieth century. University of Iowa Press, Iowa City 2009, ISBN 978-1-58729-814-1. [Zu Pucher: Kap. 9, S. 181–193.]
  • Stefan Tigges: Von der Weltseele zur Über-Marionette: Cechovs Traumtheater als avantgardistische Versuchsanordnung. transcript, Bielefeld 2010, ISBN 978-3-8376-1138-0. [Zu Puchers Möwe am Deutschen Schauspielhaus Hamburg: S. 366–382.]
  1. a b Stefan Pucher im Munzinger-Archiv, abgerufen am 23. Februar 2019 (Artikelanfang frei abrufbar).
  2. Carlson, Theatre is more beautiful than war, 2009, op. cit., S. 182.
  3. Georg Diez: DJ und Dieb. In: Der Spiegel. Kultur Extra 9/1997, 25. August 1997.
  4. Arnd Wesemann: Party mit Botschaft. In: taz. 1. September 1995, S. 16 (taz.de [abgerufen am 21. Mai 2022]).
  5. Moby Dick | residenztheater.de. Abgerufen am 26. April 2024 (deutsch).