Vibrionen

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Vibrionen

Vibrio cholerae

Systematik
Domäne: Bakterien (Bacteria)
Abteilung: Proteobacteria
Klasse: Gammaproteobacteria
Ordnung: Vibrionales
Familie: Vibrionaceae
Gattung: Vibrionen
Wissenschaftlicher Name
Vibrio
Pacini 1854

Vibrionen ist die eingedeutschte Bezeichnung für Bakterien der Gattung Vibrio, die mäßig bis stark salzbedürftig sind.[1] Es handelt sich um gramnegative Bakterien, fakultativ anaerobe, gekrümmte Stäbchen. Die Geißeln sind meist polar angeordnet. Überdauerungsorgane wie Sporen werden nicht erzeugt. Humanpathogen sind neben dem bekannten Choleraerreger Vibrio cholerae auch Vibrio parahaemolyticus und Vibrio vulnificus, die beide in warmem Salzwasser vorkommen und für schwere Magendarminfektionen und Weichteilinfektionen verantwortlich sein können.

Die bekannteste Art, Vibrio cholerae, ist Erreger der Cholera. Es gibt zwei Stämme, den klassischen Stamm und den El-Tor-Stamm. Infektionen mit dem El-Tor-Stamm verlaufen in der Regel leichter und enden viel seltener tödlich. Ein weiterer wichtiger Krankheitserreger ist Vibrio parahaemolyticus, eine Art, die besonders in Japan durch Meeresfrüchte oder rohen Fisch übertragen wird und Brechdurchfall-Erkrankungen (Gastroenteritis) erzeugt.

Einige marine Arten wie Vibrio anguillarum können bei Fischen Krankheiten hervorrufen und somit in Fischfarmen große Schäden verursachen. Auch Vibrio ordalii wurde bei kranken Fischen gefunden.

Auch Produzenten des starken Nervengiftes Tetrodotoxin (TTX) oder anhydro-TTX wurden bei dieser Gattung nachgewiesen. anhydro-TTX ist eine im molekularen Aufbau leicht abweichende Variante dieses Giftes. Produktion von TTX wurde beispielsweise bei Vibrio alginolyticus[2] nachgewiesen, anhydro-TTX auch bei Vibrio fischeri.[3] Dieses Bakterium wird nach aktueller Systematik nun als Aliivibrio fischeri bezeichnet.[4] Vermutlich sind Arten von Vibrio für die Giftproduktion verschiedener Kugelfische (Tetraodontidae) verantwortlich. So wurde Vibrio alginolyticus bei dem Kugelfisch Takifugu vermicularis gefunden. Allerdings wurde die Tetrodotoxinbildung durch Vibrionen wieder in Frage gestellt.[5][6]

Arten (Auswahl)

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  • Vibrio alginolyticus (Miyamoto et al. 1961) Sakazaki 1968[2]
  • Vibrio anguillarum Bergeman 1909
  • Vibrio cholerae Pacini 1854
  • Vibrio coralliilyticus Pollock et al., 2010[7][8]
  • Vibrio harveyi (Johnson & Shunk 1936) Baumann et al. 1981
  • Vibrio ordalii Schiewe et al. 1982
  • Vibrio mimicus Davis et al. 1982[9][10]
  • Vibrio natriegens (Payne et al. 1961) Baumann et al. 1981 comb. nov.
  • Vibrio parahaemolyticus (Fujino et al. 1951) Sakazaki et al. 1963
  • Vibrio vulnificus (Reichelt et al. 1979) Farmer 1980

Nicht mehr zur Gattung Vibrio gehört der früher als Vibrio fischeri bezeichnete Aliivibrio fischeri (Beijerinck 1889) Urbanczyk et al. 2007.[4]

Insbesondere die sogenannten Nicht-Cholera-Vibrionen kommen in der Ost- und Nordsee, vereinzelt auch in leicht salzhaltigen Binnengewässern, als Bestandteil der natürlichen Bakterienflora vor. Sie vermehren sich stark bei Wassertemperaturen über 20 °C und einem Salzgehalt von 0,5 bis 2,5 Prozent.[1]

Infektionen mit Vibrionen in der Ostsee gibt es regelmäßig in den Sommermonaten bei höheren Wassertemperaturen. Zur Risikogruppe gehören immungeschwächte, ältere Personen mit offenen Wunden, durch die beim Baden Bakterien eindringen können. Auch Todesfälle kommen vor.[11][12]

In der Lebensmittelanalytik insbesondere bei Fischereiprodukten ist die Analytik von Vibrio cholerae, Vibrio parahaemolyticus und Vibrio vulnificus nötig. Der Ausschluss von enteropathogenen Vibrionen erfolgt mittels DIN EN ISO 21872-1 kulturell nach mehreren konsekutiven Anreicherungsschritten.[13] Bestätigt wird klassisch biochemisch. Alternativ kann die Bestätigung auch mittels MALDI-TOF MS erfolgen.[14]

In Deutschland ist der direkte oder indirekte Nachweis von humanpathogenen Vibrio spp. namentlich meldepflichtig nach § 7 des Infektionsschutzgesetzes, sofern der Nachweis auf eine akute Infektion hinweist; aber soweit ausschließlich eine Ohrinfektion vorliegt, nur bei Vibrio cholerae.

In der Schweiz ist lediglich der positive laboranalytische Befund zu Vibrio cholerae meldepflichtig und zwar nach dem Epidemiengesetz (EpG) in Verbindung mit der Epidemienverordnung und Anhang 3 der Verordnung des EDI über die Meldung von Beobachtungen übertragbarer Krankheiten des Menschen.

Forschungsgeschichte

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Der dänische Zoologe Otto Friedrich Müller prägte den Begriff Vibrionen, aufgrund der zitterartigen Bewegung der Bakterien, welche sich mikroskopisch beobachten lässt.[15]

Commons: Vibrionen (Vibrio) – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

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  1. a b Centrum für Reisemedizin (CRM): Vibrionen-Infektion nach Baden in Ost- und Nordsee? Bei starken Schmerzen nach kleinen Hautverletzungen sofort zum Arzt. Pressemitteilung vom 9. Juli 2020 (Volltext als PDF).
  2. a b T. Noguchi, D. F. Hwang, O. Arakawa, H. Sugita, Y. Deguchi, Y. Shida and K. Hashimoto: Vibrio alginolyticus, a tetrodotoxin-producing bacterium, in the intestines of the fish Fugu vermicularis vermicularis. In: Marine Biology. Band 94,1987, S. 625–630.
  3. U. Simidu, T. Noguchi, D. F. Hwang, Y. Shida, K. Hashimoto: Marine bacteria which produce tetrodotoxin. In: Applied and environmental microbiology. Band 53, Nr. 7, Juli 1987, S. 1714–1715, ISSN 0099-2240, PMID 3310884, PMC 203940 (freier Volltext).
  4. a b Jean Euzéby, Aidan C. Parte: Genus Vibrio. In: List of Prokaryotic names with Standing in Nomenclature (LPSN). Abgerufen am 9. August 2019.
  5. Kendo Matsumura: Reexamination of tetrodotoxin production by bacteria. In: Applied and environmental microbiology. Band 61, Nr. 9, September 1995, S. 3468–3470, ISSN 0099-2240, PMID 7574655. PMC 167625 (freier Volltext).
  6. Dong-Soo Kim, Cheorl-Ho Kim: Author's reply to K. Matsumura: No ability to produce tetrodotoxin in bacteria. In: Applied and environmental microbiology. Band 67, Nr. 5, Mai 2001, S. 2393–2394, ISSN 0099-2240, PMID 11386243, PMC 92886 (freier Volltext).
  7. LPSN: Species Vibrio coralliilyticus
  8. Karen D. Weynberg, Christian R. Voolstra, Matthew J. Neave, Patrick Buerger, Madeleine J. H. van Oppen: From cholera to corals: Viruses as drivers of virulence in a major coral bacterial pathogen. In: Scientific Reports. Band 5, Nr. 17889, 2016, Epub: 8. Dezember 2015, doi:10.1038/srep17889.
  9. LPSN: Species Vibrio mimicus
  10. E. Fidelma Boyd, Kathryn E. Moyer, Lei Shi, Matthew K. Waldor: Infectious CTXΦ and the Vibrio Pathogenicity Island Prophage in Vibrio mimicus: Evidence for Recent Horizontal Transfer between V. mimicus and V. cholerae. In: Infection and Immunity. Band 68. Jahrgang, Nr. 3, 2000, S. 1507–1513, doi:10.1128/IAI.68.3.1507-1513.2000, PMID 10678967, PMC 97308 (freier Volltext).
  11. Ostsee-Urlauber stirbt an Vibrionen-Infektion. n-tv, 19. September 2023, abgerufen am 21. August 2024.
  12. Vibrionen-Alarm an der Ostsee: Zwei Menschen gestorben. Berliner Morgenpost, 23. August 2024, abgerufen am 23. August 2024.
  13. Mikrobiologie der Lebensmittelkette - Horizontales Verfahren zur Bestimmung von „Vibrio“ spp. - Teil 1: Nachweis von potentiell enteropathenogenen „Vibrio parahaemolyticus“, „Vibrio cholerae“ und „Vibrio vulnificus“ (ISO 21872-1:2017); Deutsche Fassung EN ISO 21872-1:2017. Auf: beuth.de ; abgerufen am 28. Juli 2020.
  14. Christine Wind, Leonie Böhmer: MALDI-TOF-Massenspektrometrie – eine Technik erobert die mikrobiologische Untersuchung. Auf: ua-bw.de vom 3. Dezember 2013, abgerufen am 28. Juli 2020.
  15. Matthias Hornef: Vibrionen, Aeromonas. in Sebastian Suerbaum, Gerd-Dieter Burchard, Stefan H. E. Kaufmann, Thomas F. Schulz (Hrsg.): Medizinische Mikrobiologie und Infektiologie (= Lehrbuch.). 9. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage, Springer-Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-662-61384-9, S. 337.