Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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Passanten in unbelebten Gassen von hinten überfielen und[WS 1] auf geschickte Art würgten, um sie zu berauben. Wurde ein Garrotter erwischt, so steckte man ihn in das soeben erwähnte Instrument, welches ihm Hände und Füße so festhielt, daß er sich nicht rühren konnte, während man ihm eine tüchtige Tracht empfindlicher Prügel verabreichte. Die Anwendung dieser radicalen Strafe genügte, um nach kurzer Zeit das Garrotterthum gänzlich zu beseitigen.
Blätter und Blüthen.
Eine Augencur in der fränkischen Schweiz. Wie glänzend der Unfug, welcher mit den sogenannten Hausmitteln getrieben wird, noch blüht, besonders in jenen düstern Strichen unseres Vaterlandes, wo religiöser Fanatismus das Scepter führt, dafür diene das folgende Geschichtchen als Beispiel!
Ich war eines Sommertages so recht in der Quere herumgelaufen, als ich endlich bemerkte, das auf diesem Wege mein Ziel, das Städtchen G…, unmöglich zu erreichen sei. Außerdem erinnerte mich mein knurrender Magen daran, daß die Mittagsstunde längst geschlagen haben müsse, und richtig, der kleine Zeiger meiner Uhr deutete auf zwei.
Also fünf Stunden bergauf und -ab gelaufen und noch immer kein Dorf, nicht einmal ein Bauernhof oder Forsthaus zu erblicken! Schöne Aussichten! Im Stillen ärgerte es mich schon, daß ich mich durch das herrliche Sonntagswetter hatte verleiten lassen, die kurze Reise per pedes anzutreten. Doch glänzte dort, über der sanft verlaufenden Hügelkette, nicht das goldene Kreuz einer Kirchthurmspitze im Sonnenschein? Bim, bam bam! – Melancholisches Glockengeläute; L–bach lag vor mir.
Munter setzte ich den Fuß in’s Thal, mich schon im Voraus auf das solenne Mittagsessen freuend, welches ich dort unten im Pfarrdorfe zu bekommen hoffte. Ich trat in das erste Wirthshaus; die Stube war vollständig leer; nur ein kleines Mädchen saß vor der Thür.
„Wo ist der Wirth?“ fragte ich.
„Nicht daheim – sind Alle bei der Procession.“
Procession im Dorfe! Die Aussicht auf ein Mittagsessen wurde ziemlich wankend. „Nun, vielleicht bekomme ich in einem andern Wirthshause etwas zu essen,“ tröstete ich mich selbst. Aber so wie es mir in dem ersten ergangen war, erging es mir auch in den beiden andern Wirthshäusern, und mißmuthig lenkte ich meine Schritte weiter.
Am äußersten Ende des Dorfes vor einem großen, wohlhabend aussehenden Gebäude saß ein kleiner Knabe auf der Steinbank. Und seltsam – was er für eine Brille auf den Augen hatte! Zwei Nußschalen durch einen Bindfaden verbunden, welcher auf dem Hinterkopfe fest zusammengeknüpft war! Anfangs glaubte ich, der Kleine dürfe nicht in den hellen Sonnenschein blicken und die Nußschalen sollten die mangelnde dunkle Brille ersetzen; ich mußte lachen über die naive Auffassung, sollte aber bald eines Schrecklichen belehrt werden.
Als ich näher kam, hörte ich den Knaben wimmern und klagen, und was hatte das zu bedeuten? Die Hände waren ihm auf den Rücken gefesselt.
„Thun Dir die Augen weh?“ fragte ich.
„O, die Spinnen – die Spinnen! Macht’s los! Ich halt’ es nicht mehr aus,“ jammerte er.
In den Schalen waren kleine Löcher eingebohrt, und aus dem einen streckte sich eben ein langes dickes Spinnenbein hervor. Rasch zog ich mein Taschenmesser und durchschnitt den Faden. Die Brille fiel, und zwei wahrhaft gemästete Kreuzspinnen suchten zu entkommen.
Die Augen des Kindes fürchterlich entzündet, das Weise dunkelroth unterlaufen, die Ränder und Lider dick mit Spinnenkoth bedeckt – es war ein entsetzlicher Anblick.
Plötzlich erhob sich ein zorniges Geschrei hinter mir. Eine robuste Bäuerin, das silberbeschlagene Gebetbuch unterm Arm, stand da und ließ eine ganze Fluth Schimpfwörter und Verbalinjurien über mich hinrollen, weil ich die Spinnen zertreten, welche sie mühsam in der Kirche hinter dem Altar gefangen hatte. Ich wollte der Frau das Unnatürliche ihrer Handlung vorstellen, aber sie ließ mich gar nicht zu Worte kommen.
Indessen kam der Mann derselben herbei. Diesem suchte ich nun die Sache aus einander zu setzen, stets unterbrochen durch das laute Schelten der Frau, welche das Kind mit Schlägen in’s Haus trieb.
„Ja, lieber Freund, das verstehen Sie nicht,“ meinte der Mann in wichtig jovialem Ton; „das Kind hat ein Gerstenkorn (kleines Geschwür) am Auge, und die Spinnen müssen dieses Korn fressen, natürlich nur solche, welche in der Kirche hinter dem Altar gefangen worden sind. Dann ist es vorbei und kommt nie wieder.“
„O sancta simplicitas, o bodenloser Blödsinn!“ konnte ich nur ausrufen.
Der Bauer lachte mich aus. Durch das laute Schimpfen der Frau hatten sich bald viele Männer und Weiber des Dorfes um uns versammelt, und Jeder wollte darauf schwören, die Cur sei unfehlbar.
Der Bader des Ortes, ein sehr vernünftiger Mann, nahm mich bei Seite.
„Lassen Sie es gut sein!“ sagte er leise. „Aendern können Sie es doch nicht; nur Unannehmlichkeiten kann es Ihnen eintragen. Solcher Hausmittel, die einem die Haut schaudern machen, haben die Leute noch mehr in der ganzen Gegend, und alte Weiber spielen die Doctoren dabei. Das Gerstenkorn wäre ohne jedes Mittel längst vergangen – so aber wird das Kind vielleicht blind, wie es schon viele durch diese scheußliche Cur geworden sind.“
Als ich das Dorf verließ, saß vor der Thür des großen Hauses wiederum das Kind, es hatte abermals den gräßlichen Schmuck auf den Augen; die Frau stand dabei und sah mir drohend nach. Ich suchte schleunigst das nächste Dorf zu erreichen, aber der Appetit war mir vergangen.
Im Interesse der bedrohten Deutschen in Ungarn-Siebenbürgen wird von Berlin aus und auf Anregung des „Centralvereins für Handelsgeographie und Förderung deutscher Interessen im Auslande“ ein Aufruf veröffentlicht, dem die „Gartenlaube“ im Dienste der nationalen Sache mit Freuden ihre Spalten öffnet. Der Aufruf lautet:
„Der dem ungarischen Reichstage vorliegende Schulgesetzentwurf droht den letzten Rest der in den deutschen Gemeinden Ungarn-Siebenbürgens seit nahezu achthundert Jahren gepflegten deutschen Geistescultur zu zerstören und den Vernichtungskampf des Magyarismus gegen das Deutschthum zu beschleunigen. In letzter Stunde, in höchster Gefahr den bedrohten Stammesgenossen in einem Kampfe beizustehen, welcher gegen das deutsche Cultur- und Volksleben überhaupt geführt wird, ist die Pflicht aller Deutschen. Nicht nur moralischer, sondern auch materieller Hülfe bedürfen die Deutschen Ungarn-Siebenbürgens, um ihren Kampf gegen den Magyarismus erfolgreich zu führen. Noch vor wenigen Jahren sind reiche Mittel aus Deutschland nach Ungarn geflossen, um den schwer heimgesuchten Angehörigen eines fremden Volkes Hülfe und Beistand zu leihen. Mögen die Deutschen eine gleiche Opferwilligkeit auch zu Gunsten der eigenen Volksgenossen bekunden, welche – trotz der ihnen verfassungsmäßig zugesicherten Rechte – in Gefahr stehen, ihrer Stammestreue halber zu Grunde gerichtet zu werden. Die Unterzeichneten bitten daher, Beiträge für die Unterstützung und Erhaltung des Deutschthums in Ungarn-Siebenbürgen an den mitunterzeichneten Cassirer, Herrn Consul Gaertner, Berlin SW, Potsdamerstrase 86a gelangen zu lassen. Ueber dieselben wird in noch näher zu bezeichnenden Zeitungen öffentlich quittirt werden.“
Berlin, den 10. December 1881.
(Folgen die Unterschriften.)
Brennende Berge. Reisende, welche in früheren Zeiten die den Europäern schwer zugängliche Hochebene von Turkestan besuchten, brachten uns die seltsame Kunde, daß es dort Berge gebe, die lichterloh brennen. In Europa war man mit der Erklärung dieser eigenartigen Nachricht schnell fertig und sagte sich, jene Reisenden hätten Vulcane in ihrer Thätigkeit gesehen oder von solchen gehört. Freilich stimmte diese Deutung gar nicht überein mit den später gesammelten Ergebnissen der Naturforschung über den geologischen Bau Centralasiens, die von thätigen Vulcanen in jenen Gegenden nichts zu berichten wußten, bis in jüngster Zeit die Fabel von den brennenden Bergen mit allen Ehren als erwiesene Wahrheit ihren Einzug in die Wissenschaft gehalten.
Erst vor Kurzem sah der bekannte Reisende Kisselew im östlichen Turkestan dieses seltsame Naturschauspiel. Dort lodert nämlich seit längerer Zeit der Berg Bai-fur-chan (türkisch Zemch-dagh), während der benachbarte Kizil-dagh, der Feuerberg, von dem dasselbe früher berichtet wurde, nunmehr vollständig erloschen ist. Wir wissen heute auch, daß die Selbstentzündung der Stein- und Braunkohle, aus welchen jene Berge fast ausschließlich zusammengesetzt sind, die Ursache dieser gigantischen Feuersbrünste bildet.
Zu derselben Zeit, im vorigen Jahre, beobachteten zwei Franzosen, Bonvalot und Capus, dieselbe Erscheinung an der westlichen Grenze Turkestans. Nachdem sie vom Thal des Yagnau-Flusses aus auf steilem Pfade einen gegen 3000 Meter hohen Bergrücken erklommen, bot sich ihnen der überwältigende Anblick des in furchtbarer Majestät flammenden Kou-dagh.
Nur der obere Theil des Berges bildete ein Flammenmeer, aus dem dichte Rauchwolken emporstiegen, während die Luft der Umgegend mit erstickenden schwefligen Dämpfen erfüllt war.
Es liegt wahrhaftig etwas Dämonisches, Großartiges in dieser Naturerscheinung, die noch keinen Künstler gefunden, der sie in düstern Farben oder poetischen Worten verherrlicht hätte.
Ein zweihundertjähriges Jubiläum. „Abenteurer – Goldmacher – Hoftöpfer – Administrator der königlichen Porcellanfabrik“ – das waren die Entwickelungsstationen, welche der Mann nach und nach durchzumachen hatte, dessen Geburtshaus die Stadt Schleiz am 4. Februar dieses Jahres mit einer Gedenktafel schmücken wird. Zwei Könige, der von Preußen und der von Polen (Sachsen), stritten sich in jener goldsüchtigen Zeit um die werthvolle Person des ehemaligen Schleizer Apothekerlehrlings Johann Friedrich Böttcher (auch Böttger), den Sachsen schließlich fest hielt und dem es die Erfindung des Meißner Porcellans verdankt. Unsere Leser kennen das Lebensbild desselben bereits aus dem Artikel „Das erste Meißner Theeservice“ (1868, S. 249 und S. 504), wie des berühmten Erfinders auch im Jahrgang 1869 gedacht worden ist, wo die neue Meißner Porcellanfabrik S. 107 und 109 ihre Darstellung in Wort und Bild fand. Häufig wird der 5. Februar 1685 als Böttcher’s Geburtstag angegeben, da aber seine Vaterstadt an dem oben genannten Tage sein Andenken ehrt, so kann damit der Zweifel hierüber als gehoben angesehen werden.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: nnd
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 88. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_088.jpg&oldid=- (Version vom 25.7.2020)