Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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Wir sind katholische Christen, will ich ihm in’s Ohr schreien, aber mit Deiner neuen Standarnreligion hol’ Dich der –“
„Spielmann!“ rief der stämmigste der Burschen in die Stube. „Schlafst, Spielmann?“
„Ein klein Bissel bin ich noch da,“ sagte dieser, sich aus dem Ofenwinkel hervorwindend.
„Wenn Du nicht schlafst, so sei so gut und kratz’ ein paar Saiten!“
„Lustig wohlauf,
Ist der Drauthaler Lauf,
Ist der Drauthaler Zier,
Und dies Dirndl g’hört mir.“
Singend umschlang er das hübsche, blühende Mädchen, das an seiner Seite saß und jetzt dem kernfrischen Burschen freudig und stolz in’s kecke Auge blickte. Das war der Tritz, und das Mädchen seine Braut Maria, die Schwester des Franz, der zur Zeit draußen auf den freien Höhen sich umtrieb.
Laut erschollen jetzt die übermüthigsten Lieder; die Cither klang, und es wollte just der muntere Reigen anheben – da schoß plötzlich der Wirth durch die Stube, um in angstvoller Hast das erst angezündete Kerzenlicht auszublasen.
„Was willst denn?“ rief der Tritz und zog den Leuchter weg, „ist’s besser, wenn wir im Finstern sind?“
„Um des lieben Gottes willen!“ schnaufte der Wirth, „da draußen, da draußen – ich hab’ sie gesehen; es steigen die Spitzhauben daher.“
„Wer wird denn da das Licht auslöschen? Wir wollen sie uns anschauen. Sie sollen kommen!“
Sie waren auch schon da. Dröhnenden Schrittes traten zwei Gensd’armen zur Thür herein. Die Stube war finster vor Rauch, aber die Eintretenden waren noch finsterer; zwischen den Zechtischen blieben sie stehen und schauten um sich. Die Burschen thaten trotzig, und Keiner rückte an seinem Tische, daß die Landpatrouille Platz nehmen konnte.
Endlich sahen die Gensd’armen einen leeren Tisch, setzten sich und hielten die Gewehre zwischen den Beinen. Sie wollten etwas trinken. Ueber diese Wendung war der Wirth glückselig. Schmunzelnd sagte er, als er auf einer Blechtasse die schwitzende Flasche brachte, es wäre „der Beste“, und in der That, sie merkten es bald, der Schlechteste war es nicht.
Nun ja, sie wollten auch einmal ein gemüthliches Stündlein haben. Mußten sie doch unten im Thale mit ihren Spießen tagaus, tagein umhersteigen, wie die leibhaftige Straf’ Gottes, fanden nirgends freundlichen Anspruch und mußten gar manchmal Einen einführen, weil er etwas gethan hatte, was sie selber gethan hätten, wenn Gelegenheit dazu gewesen wäre. Aber – „auf der Alm giebt’s ka Sünd“, da braucht man also keinen Pfarrer und keinen Gensd’armen, und da darf Jedweder, der das Zeug dazu hat, ein lustiger Bursch’ sein. Das martialische Aussehen der Landwächter wurde von Minute zu Minute zahmer; sie wollten sich an die heitere Gesellschaft schließen, mit den Burschen „warteln“, mit den Mädchen schalken. Doch die Gesellen thaten nicht viel desgleichen, als ob sie an dem geselligen Zuwachse eine besondere Freude hätten, und Etliche knurrten gar wie ein Kettenhund, der gern beißen möchte, aber den Stiefelabsatz fürchtet.
Als es wieder an’s Tanzen ging, warb einer der Gensd’armen um das schönste Dirndl im Reigen; da stand schon der Tritz da, zog das Mädchen mit sich fort und sang:
„A Spitzkappenbua
Hat ein’ Dirndl nachg’fragt;
A Spitzbua will ich heißen,
Wann’s ihm was tragt.“
Da war’s nun freilich kein Wunder, daß es kam, wie es kam. Es stand nicht lange an, so leerte der Gensd’arm sein Glas, stieß es scharf auf den Tisch und rief:
„Heimgehen! Sperrstunde!“
Da trat eine befremdliche Stille ein; nur einer der anwesenden Bauern brummte in die Ofenwand hinein, aber so laut, daß man es weiterhin hören konnte:
„Sperrstunde! Ueberall wollen sie zusperren, heutzutage. Redlich wahr: Haus Oesterreich ist ein Gefangenhaus geworden“
Als das Wort heraus war, hätte es der Sprecher selbst wieder gern eingefangen und seinen eigenen Mund fürsorglich zugesperrt. Aber der Landwächter schickte sich schon an, den Namen des Vorlauten aufzuschreiben.
„Seid keine Narren miteinand’!“ rief jetzt ein Möllthaler dazwischen, um der bedenklich werdenden Stimmung einen kecken Ruck zu geben, „lasset jetzt die gespreizten Geschichten und seid’s lustig! Wir kommen so jung nimmer zusammen. Wein her, Wirth! Und die Herren müssen auch mitthun. Wisset, wir Bauersleut’ haben keine Rösser; darum reiten wir die Wörter – und ist nicht schlecht gemeint. Na, auf Gesundheit! Auf gute Freundschaft!“
Einer der Gensd’armen wollte schon anstoßen mit dem neugefüllten Glas.
„Hüte Dich!“ raunte ihm der Andere zu, „sie retiriren – nur aufschreiben, Alle aufschreiben!“
Sie schrieben – aber sie schrieben in ihr Armensünderbüchlein lauter falsche Namen; den echten behielt jeder der Inquirirten schlau für sich selber.
„Die Kerze ist auch schon benebelt,“ bemerkte der Aufschreiber nicht ohne Laune, da das Licht vor lauter Tabaksqualm kaum den nöthigen Schein gab.
„Wirth!“ rief der Tritz, „bring’ noch Kerzen, daß dem Herrn Standarn ein Licht aufgeht. Ich zahl’s.“
Er möge, murmelte der Landwächter, das Geld in seinem Beutel behalten, würde leicht Platz haben drinnen. Und die Bettelkerze sei man bei den Drauthaler Bauern längst gewohnt.
„Bettelkerze!“ sagte der Tritz mit spottender Weichheit. „Na, das nicht! So vornehmen Herren müssen die Drauthaler Bauern schon eine Extrakerze verehren.“
Dabei zog er sein Ledertäschchen aus der Tasche und langte aus demselben eine Fünfzigguldennote hervor.
„Versaufen?!“ rief der Bursche mit heller Stimme, indem er den Schein mit zwei Fingern hoch über den Köpfen hielt, daß er wie ein Kirchweihfähnlein flatterte; „versaufen? Nein, das nicht. Licht wollen wir machen, daß der Herr Standar zum Schreiben sieht.“
Gelassen rollte er vor den Augen der Gensd’armen den Fünfziger zusammen, hielt die Rolle über das Kerzenlicht, und als sie lichterloh brannte, rief er:
„Ich bitt’, meine Herren, wenn’s gefällig!“
Die Landwächter schrieben nicht; sie thaten den Mund auf und waren stumm. Hingegen schlugen die anderen Leute einen hellen Lärm, und die Weiber waren dem Tritz in den Arm gefallen, um ihm das Geld zu entreißen. Zu spät war’s, zu spät – die „Anweisung“, für welche der Sage nach die privilegirte österreichische Nationalbank dem Ueberbringer fünfzig Gulden Silbermünze ausbezahlt, flog als Aschenflaum auf den Tisch.
„Heilige Maria vom grünen Anger!“ zeterten sie, „jetzt hat er Geld verbrannt. – Jetzt hat er eine Kuh verbrannt,“ riefen die Halter (Hirten). „Jetzt hat er ein Joch schönes Lärchbaumholz verbrannt,“ riefen die Holzhauer. „Den heurigen Haferbau hat er verbrannt,“ riefen die Bauern. „Auf zehn Jahre Tabakgeld hat er verbrannt,“ kicherte ein alter Raucher. Und Maria, seine Braut, hub zu weinen an und fragte den Geliebten:
„Bist denn ein Narr worden, Tritz?“
„Den Arrest habe ich Einem verbrannt,“ sagte der Bursche und setzte sich ruhig an seinen Platz.
„O, wart’, Bauer!“ brummte der Gensd’arm, „der Arrest und die Hölle sind feuersicher gebaut; Du kommst in beide.“ Und er schrieb die That des übermüthigen Burschen in das Sündenbuch.
„Jetzt fistelte aus dem dunkelsten Winkel her eine Stimme: „Ist nicht so gefährlich beim Patritz, wenn er Banknoten verbrennt. Er hat einen künstlichen Schwager.“
Da er statt künstlerisch: künstlich sagte, so war die Frage, was das heißen sollte?
„Der macht ihm’s!“ schrie der Gauch und huschte zur Thür hinaus.
Da horchten die Gensd’armen erst recht auf, aber die Leute merkten, es wäre nun die höchste Zeit, das Wirthshaus „Auf der Wacht“ zu räumen, und sie räumten es auch. – –
Der Eder-Franz wußte von all dem nichts; er erging sich immer noch auf den mondhellen Höhen und sang in die stille Nacht hinaus:
„Mein Herz, das ist alleweil voll Freud!
Auf der Alm ist’s gut sein!“
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_344.jpg&oldid=- (Version vom 27.8.2018)