Verschiedene: Die Gartenlaube (1882) | |
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Das letzte Lächeln.
Den bleichen Engel sah ich schweben,
Mein Kind, um deine Lagerstatt;
Noch rangst du um dein kleines Leben,
Dein Geist jedoch war irr und matt.
Du sah’st nicht, wie mit heißen Thränen
Die Mutter Kuß dir gab um Kuß,
Nicht, wie in Angst und Hoffnungswähnen
Ich stand an deines Bettchens Fuß.
Die Brust von Lieb’ und Weh durchdrungen,
Rief ich den theuern Namen laut –
Da hast du dich emporgerungen
Und hast noch einmal aufgeschaut.
Du hast mein Antlitz nicht gesehen;
Dein Auge folgte nur dem Schall,
Doch schien’s dich freundlich zu umwehen
Wie süßer Tage Widerhall.
Hast du im wirren Traum empfunden,
Daß dir dieselbe Stimme klang,
Die einst in glücklich schönen Stunden
Dir traute Kinderlieder sang ? –
Ein letztes müdes Lächeln dankte –
Auf grauer Flur ein Sonnenblick! –
Das kleine, blasse Antlitz schwankte
In’s weiße Bettchen dann zurück.
Die großen, irren Augen sanken
Zum trüben Schlummer wieder ein –
Ich aber will dir ewig danken
Für diesen letzten Sonnenschein.
Der Engel Spielgenoß zu werden,
Gingst du hinauf in’s ew’ge Licht,
Doch ich vergesse hier auf Erden
Dein letztes, liebes Lächeln nicht.
Die Rivalen am Congo.
An den Küsten des „dunklen“ Welttheils, an welchen noch vor wenigen Jahrzehnten nur Sclavenschiffe Anker warfen, um die grausame Jagd auf den schwarzen Menschen auszuüben, wehen heute friedliche Handelsflaggen civilisirter Nationen; vom Norden und Süden, vom Osten und Westen her dringen kühne Forscher auf unwegsamen Pfaden in das „Herz Afrikas“, weder die Gefahren des mörderischen Klimas, noch die Nachstellungen der wilden Eingeborenen scheuend; Dampfer befahren die gewaltigen centralafrikanischen Ströme, welche früher nur von leichten Negercanoes durchfurcht wurden, und europäische Niederlassungen werden gegründet, mitten unter barbarischen Stämmen. Was bedeutet dieses sonderbare Treiben und Schaffen? Was verkündet der schrille Pfeifenton der Dampfmaschine und das Hallen der Aexte in der tiefen Stille des jungfräulichen Urwaldes?
Die Cultur schickt sich an, das Herz Afrikas zu erobern, und in ihren Diensten wetteifern alle civilisirten Nationen mit einander. Auf den vielverschlungenen Pfaden, welche einst der vom idealen Wissensdrange geleitete Forscher gefunden, wandelt heute der unternehmungslustige Kaufmann; er knüpft mit den wilden Völkern Handelsbeziehungen an und schürzt die Bande, mit welchen früher oder später Centralafrika an den unaufhaltsam vorwärts donnernden Gang der europäischen Cultur gefesselt werden wird.
Wie jung sind noch diese Bestrebungen, welche den Völkern Europas einen ungeheueren Nutzen versprechen! Vor kaum fünf Jahren brachte uns Stanley die Kunde von dem Laufe des gewaltigen Congostromes, der unter dem sechsten Grad südlicher Breite seine Fluthen dem Atlantischen Oceane zuwälzt, von dem unermeßlichen Reichthum der von ihm und seinen Nebenflüssen bespülten weiten Länderstrecken und von der dichten Bevölkerung jenes unerforschten dunklen Welttheiles. Schnell reifte da die Idee, dieses Gebiet dem Welthandel zu erschließen, und die civilisirten Völker reichten sich zu diesem Zwecke die Hände. Sie rüsteten Expeditionen aus, deren Zahl mit jedem Jahre wuchs, sodaß es heute selbst für den Fachmann schwierig sein dürfte, den Gang der afrikanischen Forschung klar zu überschauen. Vor Allem hat die auf Anregung des Königs Leopold des Zweiten von Belgien im Jahre 1876 gegründete „internationale afrikanische Association“ es zu ihrer Aufgabe gemacht, auch jenen Theil Afrikas zu civilisiren, und aus ihr sind auch jene Specialcomités hervorgegangen, deren Thätigkeit heute die gesammte handelsgeographische Welt in Spannung und Aufregung versetzt. Was man schon bei der Gründung der internationalen Vereinigung voraussehen konnte, hatte sich leider nur allzu bald bestätigt. Die Eintracht der einzelnen Völker war nicht von langer Dauer, und schon heute stehen wir vor einem – „Streit um den Congo“.
Werfen wir einen Blick auf die Landkarte des westlichen äquatorialen Afrikas, so sehen wir, daß hier zwei große Ströme in den Atlantischen Ocean münden, unter dem sechsten Grad südlicher Breite der mehrmals erwähnte Congo, und nördlich von ihm der kleinere Ogowe. Flüsse bildeten stets die wichtigsten Handelswege der Welt, und so müssen wir auch die Mündungen vom Congo und Ogowe als die Thore betrachten, durch welche man in das Innere dieses Landes gelangen kann.
Und in der That ließen sich an ihnen die Pionniere der europäischen Cultur zuerst nieder. An der Mündung des Ogowe besitzt Frankreich einen wichtigen Hafen, Gabun, in welchen jährlich an hundert Dampf- und Segelschiffe einlaufen. Sie treiben hier Tauschhandel mit den afrikanischen Völkern, und der Gewinn der Handelsherren soll dabei ein unermeßlicher sein; denn nur wohlfeile Waare wird für die kostbarsten Producte des Südens eingetauscht. Einen Elephantenzahn, der etwa 60 Kilogramm wiegt und in Europa einen Werth von 1800 Franken darstellt, ersteht man am Ogowe für Schundwaaren im Werthe von 40 bis 50 Franken, und Blöcke von Kopalharz, welche die Größe eines Kopfes haben, handelt man den Eingeborenen für einige Körner Salz ab. Alle tropischen Früchte gedeihen in jenen Ländern auf das vortrefflichste, und unermeßlich ist der Reichthum ihrer Urwälder an Kautschuckbäumen, sowie an Palmen, aus welchen das Palmöl gewonnen wird. Der Leser wird vielleicht staunen, wenn wir ihm mittheilen, daß dieser Handel vorwiegend von den Deutschen betrieben wird, daß das Hamburger Haus Wörmann in Gabun sozusagen eine Art Monopol besitzt.
Den Ogowe entlang sind einige Handelsstationen errichtet, und Karawanen von Canoes vermitteln den Verkehr zwischen dem Hafen und dem Inneren des Landes.
Dieser älteren französischen Handelscolonie erwuchs in jüngster Zeit ein gefährlicher Concurrent in dem an der Congomündung gelegenen Hafen Boma, in welchem, wie wir später sehen werden, einige europäische Handelshäuser unter der Leitung Stanley’s sich niedergelassen haben.
Von diesen beiden Punkten aus wurden nun in letzter Zeit die Expeditionen unternommen, deren Zweck es war, Handelswege nach dem Inneren Centralafrikas zu finden und Handelsstationen zu gründen.
Ein kühner französischer Forscher, Graf Savorgnan de Brazza, sollte vom Ogowe aus sein Glück versuchen. Die internationale afrikanische Gesellschaft trug ihm auf, ihre Interessen zu vertreten, und außerdem wurde er mit einem Mandat der französischen Regierung ausgestattet: „sei es auf dem Wege des Kaufes, sei es durch Verträge, von denjenigen Territorien Besitz zu ergreifen, die ihm am Ogowe und am Congo zur Errichtung von Niederlassungen günstig erschienen“. Man behauptet, daß ihm die afrikanische Association zu dieser Expedition 30,000 Franken, das französische Parlament aber 100,000 Franken bewilligt hätte, und es ist leicht zu begreifen, daß unter diesen Umständen Graf Savorgnan de Brazza bald die Verpflichtungen vergaß, welche er gegen die afrikanische Gesellschaft zu erfüllen hatte, und als Franzose nur die Interessen Frankreichs wahrnehmen zu müssen glaubte. Das Gebiet, das er betreten sollte, war ihm schon von seinen früheren
Verschiedene: Die Gartenlaube (1882). Leipzig: Ernst Keil, 1882, Seite 782. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1882)_782.jpg&oldid=- (Version vom 22.8.2023)