Die lange Nacht im Hohen Haus
Mit Marathonreden schrieben Grüne vor 14 Jahren Parlamentsgeschichte
Wien (PK) – In den Stenographischen Protokollen des Nationalrats finden interessierte Leserinnen und Leser zahlreiche markante Ereignisse der jüngeren Geschichte Österreichs. Sei es der Staatsvertrag oder die Habsburgkrise, die Ablehnung des AKW Zwentendorf oder der EU-Beitritt des Landes, stets gab es dazu auch umfassende Debatten im Parlament. Es sind aber nicht ausschließlich solche "großen Themen", die Eingang in die Parlamentsgeschichte fanden. Mit Marathonreden schafften es die Grünen vor 14 Jahren, Jute und Tropenholz ins Zentrum der österreichischen Innenpolitik zu rücken und die erste – und bislang einzige – Nachtsitzung des Nationalrats zu erzwingen. Insgesamt 38 Stunden und 46 Minuten diskutierten die Abgeordneten fast ohne Unterbrechung.
Wobei der eigentliche Anlass für die Marathonsitzung, die Rücknahme der Kennzeichnungspflicht für Tropenholz, mit Fortdauer der Debatte mehr und mehr in den Hintergrund rückte. Bald ging es um den Parlamentarismus und die Demokratie an sich. Darf eine Minderheit von Abgeordneten unter Ausnutzung sämtlicher Möglichkeiten der Geschäftsordnung eine von der Parlamentsmehrheit angestrebte Entscheidung blockieren, lautete die zentrale Frage, die zu teilweise äußerst heftigen Kontroversen führte und auf die die Abgeordneten je nach Standort ganz unterschiedliche Antworten gaben.
Von der Abwertung des Parlaments und der Ausschaltung der Parlamentsarbeit war da etwa die Rede, von einem aus den Fugen geratenen Ablauf, aber auch von "Mediengeilheit" und von "rhetorischem Plunder". Auf der anderen Seite warfen die Grünen dem Nationalratspräsidium Rechtsbruch vor, weil es nach Möglichkeiten suchte, die Debatte zu beschleunigen. Letztendlich half selbst eine mehr als zehnstündige Rekordrede von Abgeordneter Madeleine Petrovic nichts – die Änderung des Tropenholzgesetzes wurde vom Nationalrat mehrheitlich beschlossen.
Für und Wider die Kennzeichnungspflicht von Tropenholz
Am Anfang der Ereignisse stand ein Gesetzesbeschluss des Nationalrats vom Juni 1992. Um ein Zeichen gegen das Abholzen von Regenwäldern zu setzen, beschlossen die Abgeordneten nach langem Hin und Her mehrheitlich ein Gesetz, das unter anderem eine Kennzeichnungspflicht für Tropenhölzer und Tropenholzprodukte vorsah. Zum Proteststurm kam es, als die damaligen Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP nicht einmal neun Monate später die Kennzeichnungspflicht aufgrund massiven Drucks betroffener Länder wieder zurücknehmen wollten.
Bereits im Umweltausschuss des Nationalrats, der am 3. März 1993 die Verhandlungen über eine Änderung des Tropenholzgesetzes aufnahm und dazu zahlreiche Firmenvertreter und Umweltschutzorganisationen geladen hatte, zeigte sich, wie unversöhnlich die Standpunkte von Gegnern und Befürwortern der Kennzeichnungspflicht waren. Große Unternehmen wie ELIN oder VAMED berichteten über Diskriminierungen, denen sie seit Inkrafttreten des Tropenholzgesetzes vor allem in den ASEAN-Staaten ausgesetzt wären, und gaben die befürchteten Ertragseinbußen mit Ziffern in Milliardenhöhe an. Tausende Arbeitsplätze seien gefährdet, der Bestand mancher Firmen in Frage gestellt, warnten auch Interessenvertreter von Wirtschaft und Industrie. ÖVP- und SPÖ-Abgeordnete machten überdies geltend, dass Österreich mit seiner Kennzeichnungspflicht alleine geblieben sei – weder in den USA noch in Westeuropa gebe es Anzeichen dafür, dass andere Staaten dem von Österreich eingeschlagenen Weg folgen würden.
Seitens der Umweltorganisationen wurden die Angaben der Firmenvertreter hingegen massiv in Zweifel gezogen. Sie warnten stattdessen davor, wirtschaftlicher Erpressung durch einige Regimes nachzugeben und traten sogar für eine Ausweitung der Deklarationspflicht ein.
Trotz einzelner Gegenstimmen aus dem Lager der Regierungsparteien stimmte schließlich eine Ausschussmehrheit für den SP-VP-Antrag auf Änderung des Tropenholzgesetzes und damit für die Aufhebung der Kennzeichnungspflicht von Tropenholzprodukten. Übrig blieb – in Form einer Entschließung – ein Appell an die Regierung, sich international verstärkt um den Schutz des Regenwaldes zu bemühen und finanzielle Hilfe zur Erhaltung bedrohter Waldbestände zu leisten. Ein alternativer Gesetzesantrag der FPÖ, der gleichfalls zur Diskussion stand, fand keine Mehrheit.
Der Nationalrat tritt am 10. März 1993 zusammen
Als der Nationalrat am Mittwoch, dem 10. März, um 11 Uhr zusammentrat, war noch nichts von den späteren Auseinandersetzungen zu bemerken. Auf der Tagesordnung standen – nach einer Fragestunde mit Innenminister Franz Löschnak – drei EU-Berichte über den Stand der Integrationspolitik, ein Investitionsschutzabkommen mit Marokko und ein Internationales Übereinkommen von 1989 über Jute und Juteerzeugnisse. Über die Änderung des Tropenholzgesetzes wollten die Abgeordneten, gemeinsam mit vier weiteren Tagesordnungspunkten, in einer zweiten Sitzung am Donnerstag, dem 11. März, beraten.
Auch dass die Mittwoch-Sitzung um 23.18 Uhr mitten in den Beratungen über die drei Integrationsberichte unterbrochen und erst am Donnerstag um 9.02 Uhr wieder aufgenommen wurde, war nichts Außergewöhnliches. Anfang der 90-er Jahre war es durchaus üblich, lange Nationalratssitzungen in den späten Abendstunden abzubrechen und erst am nächsten Tag zu beenden. Und es lagen nicht nur viele Wortmeldungen zu den Integrationsberichten vor, auch eine fast fünfstündige Debatte über eine Dringliche Anfrage der FPÖ an Bundeskanzler Franz Vranitzky betreffend mangelnde Koordination im österreichischen Gesundheitswesen führte zu Verzögerungen.
Selbst Donnerstag Früh ahnten die Abgeordneten offenbar noch nicht, was auf sie zukommen würde. Als die FPÖ um 10.22 Uhr eine weitere Dringliche Anfrage, dieses Mal zum Thema Privatisierung der AUA und der DDSG, einbrachte, hielt Nationalratspräsident Fischer fest, dass es notwendig sein könnte, die Sitzung aus technischen Gründen zu unterbrechen. Stehen doch einem Minister drei Stunden Vorbereitungszeit für die Beantwortung einer Dringlichen Anfrage zu, während gleichzeitig mit einer baldigen Beendigung der Tagesordnung gerechnet werden konnte. Tatsächlich wäre die Dringliche Anfrage der FPÖ allerdings erst am Freitag in den frühen Morgenstunden aufgerufen worden, hätten Jörg Haider und seine FraktionskollegInnen sie bis zu diesem Zeitpunkt nicht schon längst zurückgezogen.
Als letzter Punkt stand nämlich noch das internationale Jute-Übereinkommen auf der Tagesordnung. Zu diesem Abkommen hatte es, wie es gelegentlich bei unstrittigen Staatsverträgen vorkommt, keine Ausschussvorberatungen gegeben, und niemand rechnete damit, dass darüber jemand viele Worte verlieren würde. Mit Ausnahme der Grünen. Bestrebt, die Änderung des Tropenholzgesetzes so lang wie möglich zu verzögern, machten sie sich das Versäumnis der Regierungsparteien zunutze, beim Jute-Übereinkommen keine Redezeitbeschränkungen vereinbart zu haben. Und begannen zu filibustern.
Von der Bedeutung, Jute statt Plastik zu verwenden
Den Beginn machte Abgeordnete Marijana Grandits mit einer fast fünfstündigen Marathonrede. Grandits berichtete unter anderem über die Bedeutung des Naturprodukts Jute für die Dritte Welt, beklagte vor allem die missliche Lage der Jutebauern in Bangladesh und Indien, sprach deren finanzielle Lage und zunehmende Verschuldung an, schilderte die Arbeitsweise der Kleinbauern, umriss die politischen Verhältnisse in beiden Ländern und bezeichnete die Betroffenen als Opfer eines Weltwirtschaftssystems, auf das sie keinen Einfluss hätten. Gefordert sei, sagte Grandits, eine globale Solidarität. Sie plädierte auch dafür, die Entwicklungszusammenarbeit zu überdenken, um sowohl positive Effekte in den Entwicklungsländern als auch positive Rückwirkungen auf die Industrieländer zu bewirken.
Während der Rede von Grandits stieg die Unruhe im Saal allmählich, wenn auch die meisten Abgeordneten, wie die Zwischenrufe zeigen, vorerst eher mit Spott und Ironie als mit Ärger auf den Redemarathon reagierten. Als etwa Grandits nach mehreren Stunden den "Geschäftsantrag" stellt, ihren Redebeitrag "aus psychologischen Gründen" für zwei Minuten zu unterbrechen, protestierten die FPÖ-Abgeordneten Karin Praxmarer, Edith Haller und Hans Schöll mit den Worten "Das können wir nicht, es war gerade so spannend!", "Ich weiß noch nicht, was Jute ist!" und "Was kostet ein Sack Jute?". Zuvor hatte bereits ÖVP-Abgeordnete Ingrid Tichy-Schreder für Aufmerksamkeit gesorgt, indem sie Grandits einen Kaffee ans Rednerpult brachte – weil Kaffee harntreibend wirkt, wie später vermutet wurde.
Dem Wunsch von Grandits, kurz zu pausieren, wurde von Nationalratspräsident Heinz Fischer jedenfalls nicht stattgegeben, kurze Zeit später beendete sie ihre Rede unter anhaltendem Beifall der Grünen. Erst danach unterbrach Fischer die Sitzung für Beratungen der Präsidiale für rund 50 Minuten.
Die Geschäftsordnung kommt ins Spiel
Die anderen Fraktionen versuchten der Verzögerungstaktik der Grünen mit Mitteln der Geschäftsordnung zu begegnen, zunächst allerdings mit eher mäßigem Erfolg. Zwar nahm der Nationalrat nach Wiederaufnahme der Sitzung mehrheitlich einen VP-SP-Antrag auf Schluss der Debatte an, konnte damit aber nicht verhindern, dass sich noch eine Rednerin der Grünen Fraktion zum Jute-Übereinkommen zu Wort meldete. Mit ihrer schließlich 10 Stunden und 35 Minuten dauernden Rede stellte Petrovic einen neuen Rederekord im Nationalrat auf und "überholte" damit ihren Fraktionskollegen Walter Geyer, der im Juni 1988 genau 8 Stunden und 55 Minuten zum Luftreinhaltegesetz für Kesselanlagen gesprochen hatte.
Bevor Zweiter Nationalratspräsident Robert Lichal Petrovic das Wort erteilte, nahm allerdings noch ÖVP-Abgeordneter Heribert Steinbauer zum ungewöhnlichen Antrag der Regierungsparteien auf Schluss der Debatte Stellung. Steinbauer wollte zwar selbst, wie er erklärte, gegen eine Rücknahme der Kennzeichnungspflicht für Tropenholz stimmen, dennoch übte er Kritik am Vorgehen der Grünen und warnte davor, dass mit Filibuster-Reden der Sache vermutlich nicht gedient, sondern ihr vielmehr sogar ein schlechter Dienst erwiesen würde. Bei schwerwiegenden und heiklen Fragen sollte man versuchen, Verbündete zu gewinnen, statt Verbündete zu vertreiben, mahnte Steinbauer. "Es ist gleichgültig für mich, ob ich heute verliere oder morgen. Ich frage mich nur, ob es nicht gescheiter gewesen wäre, bezüglich Tropenholz heute zu verlieren und wenigstens argumentativ noch Freunde dafür zu gewinnen."
Petrovic spricht 10 Stunden und 35 Minuten
Petrovic ließ sich von Steinbauers Appell jedoch wenig beeindrucken und versuchte, den Abgeordneten mehr als zehn Stunden lang, die Bedeutung von Jute für die Dritte-Welt-Staaten nahezubringen und die Verantwortung der Industriestaaten einzumahnen. Nur ein einziges Mal musste sie dabei, weil sie vom Thema abwich, von Nationalratspräsident Heinz Fischer zur Sache gerufen werden. Mit dem Aufruf "Kauft Jute statt Plastik" beendete Petrovic schließlich in den frühen Morgenstunden, exakt um 4.09 Uhr, ihre Rede, wobei das Stenographische Protokoll Beifall bei den Grünen und Zugabe-Rufe bei ÖVP und SPÖ vermerkt.
Später erklärte Petrovic gegenüber Journalistinnen und Journalisten, es gehe ihr gut, sie sei "eigentlich gar nicht müde". Auch hätte sie durchaus noch weiterreden können, habe aber einen Qualitätsverlust befürchtet.
Obwohl die Abgeordneten der anderen Fraktionen einen "Schichtdienst" eingelegt hatten und abwechselnd schlafen gingen, nahm der Unmut im Sitzungssaal mit Fortdauer der Rede zu. Und es trug auch nicht unbedingt zur Verbesserung der Stimmung bei, als die Grünen die Geschäftsordnung des Nationalrats weiter ausreizten und in den frühen Morgenstunden nicht nur eine Dringliche Anfrage an Bundeskanzler Franz Vranitzky betreffend Novellierung des Tropenholzkennzeichnungsgesetzes, sondern auch 16 Anträge auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses einbrachten und zu jedem dieser Anträge eine Debatte verlangten.
Die Grünen stellen eine Dringliche Anfrage an Bundeskanzler Vranitzky
Die Dringliche Anfrage an den Bundeskanzler bestand aus 102 Einzelfragen und wurde von Abgeordneter Monika Langthaler insgesamt 5 Stunden und 24 Minuten lang begründet, wobei sie die Argumente der Grünen gegen die Rücknahme der Kennzeichnungspflicht für Tropenholz detailliert ausbreitete und unter anderem darauf hinwies, dass es ihrer Fraktion nicht nur um den ökologischen Aspekt, sondern besonders auch um Menschenrechte und Entwicklungspolitik gehe. "Was nützt es einem Land wie Malaysien, wenn es kurzfristig eine Menge von Tropenwäldern rodet und die Hölzer exportiert und beispielsweise in sieben Jahren keinen Regenwald mehr haben wird?" fragte Langthaler etwa und wies auf Menschenrechtsverletzungen gegen Urwaldbewohner hin. Überdies machte sie geltend, dass die Kennzeichnungspflicht immer auch ein Konsumentenwunsch gewesen sei. Das in Zwischenrufen immer wieder vorgebrachte Arbeitsplatz-Argument wies Langthaler vehement zurück und bekräftigte, es werde sich zeigen, dass die Abschaffung der Kennzeichnungspflicht auf längere Sicht gesehen keinen einzigen Arbeitsplatz in Österreich sichern werde.
Zum Abschluss gab Langthaler zu bedenken, dass die Regierungsparteien mit ihrer Vorgehensweise eine ganz breite Bevölkerungsschicht in Österreich, vor allem junge Menschen, völlig vor den Kopf stoße, und versicherte, das Beispiel Tropenholz werde lange in den Köpfen vieler bleiben. "Sie haben uns in diesem Fall wirklich den Krieg erklärt", sagte Langthaler, "und jetzt sind wir auch bereit, zu kämpfen."
In der Beantwortung der Dringlichen Anfrage ging Bundeskanzler Vranitzky zunächst auf die Verzögerungstaktik der Grünen ein und sprach von einem "aus den Fugen geratenen Ablauf". "Glauben Sie mir: Kaum ein Mensch in Österreich wird Ihnen abnehmen, dass es Ihnen mit dieser Anfrage um ein echtes Anliegen, in diesem Fall Tropenholz, geht, sondern einzig und allein darum, zu filibustern, um Ihr taktisches Ziel durchzusetzen, in dieser Woche dieses Gesetz nicht mehr beschließen zu lassen", zeigte er sich überzeugt. Im Prinzip täten die Grünen, so Vranitzky, nichts anderes, als eine Entscheidung hinauszuzögern, die die Mehrheit für richtig halte.
Zur geplanten Gesetzesänderung merkte Vranitzky an, er glaube nicht, dass der von den Tropenholz produzierenden Ländern ausgeübte Druck eine leere Drohung sei. Es seien Milliardenaufträge für österreichische Firmen in Frage gestellt und Tausende Arbeitsplätze in Österreich unmittelbar bedroht, warnte er. "Es wäre extrem verfehlt, eine Regelung aufrechtzuerhalten, die international nicht die erwünschte Wirkung zeigt, aber unserer Wirtschaft und unserem Arbeitsmarkt beträchtlichen Schaden zufügt." Vranitzky wehrte sich überdies dagegen, "in Verkennung unserer eigenen Größe, Stärke und Wichtigkeit, mit fundamentalistischem Eifer andere Staaten dieser Welt glauben machen zu wollen, dass wir ihnen unsere Muster aufzwingen können." Was die 102 Einzelfragen betrifft, kündigte der Kanzler, wohl um die Debatte zu beschleunigen, eine schriftliche Beantwortung an.
Dennoch wurde breit über die Dringlichen Anfrage debattiert. Nicht nur alle zehn MandatarInnen der Grünen, auch die Abgeordneten Gerulf Murer (F), Gabrielle Traxler (o.F.), Karl Schweitzer (F), Thomas Barmüller (L) und Anna Elisabeth Aumayr (F) meldeten sich zu Wort. Dabei ging es nicht nur um das Tropenholzgesetz, sondern insbesondere auch um die Filibuster-Taktik der Grünen, die von allen anderen kritisiert, von den Grünen selbst jedoch vehement verteidigt wurde.
Besonders deutlich brachte Grün-Abgeordneter Johannes Voggenhuber den Standpunkt seiner Fraktion zum Ausdruck: "Ist es wirklich so unfassbar,... dass die Opposition bei einem zentralen Thema einmal das tut, was die Mehrheit Tag für Tag exekutiert? Nämlich die Geschäftsordnung für sich zu verwenden und ihre Rechte auszuüben", fragte er in Richtung Bundeskanzler. Die anderen Fraktionen würden erwarten, dass sich die Grünen an ihre Spielregeln hielten, "aber 250.000 Menschen im Land, von denen die zehn grünen Abgeordneten gewählt wurden, erwarten, dass diese für die Sache Menschenrechte, für die Sache Umweltschutz wenigstens die Geschäftsordnung ausschöpfen!" Er könne, so Voggenhuber mit Hinweis auf einige APA-Meldungen, mit der Wehleidigkeit der Mächtigen nichts anfangen, "die in Wutgeheul ausbrechen und eine Staatskrise beschwören", weil man ihnen eine Nacht stehle. "Wir kämpfen für ein Parlament – aber nicht für ein Parlament der Wasserträger, sondern für ein Parlament als Forum der Auseinandersetzung, ein Parlament, das die Regierung kontrolliert und nicht deren Weisungen vollzieht, für ein Parlament, dass das Volk vertritt und nicht einzelne Interessen und die Industrie!"
Abgeordneter Karl Schweitzer warf den Grünen hingegen vor, es gehe ihnen nur um ein Spektakel, "um die Befriedigung Ihrer unendlichen Mediengeilheit". Seitens der Liberalen hielt Abgeordneter Thomas Barmüller fest, die "Blockade des Parlaments" durch die Grünen könne mit dem Verweis auf die Geschäftsordnung nicht gerechtfertigt werden.
Wird die Geschäftsordnung gebrochen oder legitim interpretiert?
Noch schärfer wurde der Ton zwischen den Parteien, als die Mehrheit der Abgeordneten nach einer eineinhalbstündigen Sitzungsunterbrechung beschloss, die Debatte über die 15 zugelassenen Anträge der Grünen auf Einsetzung eines Untersuchungsausschusses (einer wurde als nicht zulässig erklärt) in Abweichung zur üblichen Vorgangsweise gemeinsam durchzuführen. Die Dritte Nationalratspräsidentin Heide Schmidt berief sich dabei auf eine Bestimmung in der Geschäftsordnung, wonach das Präsidium des Nationalrats dafür Sorge zu tragen habe, dass die Verhandlungen mit Vermeidung jedes unnötigen Aufschubs durchgeführt werden. Die Geschäftsordnung müsse auch dann noch anwendbar sein, wenn es nicht 15, "sondern 30 oder 100 oder, wenn Sie so wollen, 1.000 Anträge" auf Einsetzung von Untersuchungsausschüssen gebe, argumentierte sie. Die Grünen sahen in der Vorgangsweise allerdings einen Rechtsbruch.
Die Entscheidung, die Debatten über die Untersuchungsausschuss-Anträge zusammenzuziehen, war aus Sicht der anderen Fraktionen, die auf eine Beschleunigung der Beratungen drängten, verständlich. Zwar wäre es gemäß Geschäftsordnung möglich gewesen, die Redezeit jedes Abgeordneten bei jeder Debatte auf 5 Minuten zu beschränken, hätten sich aber in allen 15 Debatten alle 10 Abgeordneten des Grünen Klubs zu Wort gemeldet, hätten sich allein deren Wortmeldungen auf mehr als 12 Stunden summiert. Aus Protest gegen den Beschluss verließen die Grünen für kurze Zeit den Saal und verzichteten damit auf jegliche Debatte zu den Untersuchungsausschuss-Anträgen.
Die Debatte nimmt ihren Fortgang
Noch konnte die Mittwoch-Sitzung des Nationalrats allerdings nicht beendet werden, auch wenn es mittlerweile bereits Freitag, 14.27 Uhr war. Die Grünen hatten gegen die Tagesordnung der nächsten Sitzung schriftliche Einwendungen erhoben, und die Geschäftsordnung sah in einem solchen Fall eine Debatte darüber vor. Beantragt wurde, die Änderung des Tropenholzgesetzes von der Tagesordnung zu nehmen, damit, wie Abgeordnete Terezija Stoisits ausführte, "der internationale Ruf, das internationale Ansehen Österreichs, als ein entwicklungspolitisch und umweltpolitisch vorbildhaftes Land nicht ramponiert wird".
SPÖ, ÖVP, FPÖ und Liberale zeigten für die Einwendungen der Grünen allerdings kein Verständnis und verwiesen darauf, dass die Grünen der Tagesordnung in der Präsidiale zugestimmt hätten. Die Grünen verhielten sich wie "Beckmesser der Demokratie", klagte etwa FPÖ-Abgeordneter Holger Bauer, sie wären gut beraten, "einmal zur Kenntnis zu nehmen, dass ein Wesenselement der Demokratie die Mehrheit ist." Er habe, so Bauer weiter, viel Verständnis dafür, wenn eine Minderheit geschäftsordnungsmäßige Möglichkeiten ausnütze und in der Öffentlichkeit auf ihre ablehnende Haltung zu einem Gesetz hinweise, aber letztendlich müsse man demokratische Grundprinzipien und Spielregeln zur Kenntnis nehmen und sie nicht missbrauchen. "Sie nützen damit der Demokratie nicht! Sie werten das Parlament ab – und schaden damit uns allen!".
Ähnlich wie Bauer argumentierten auch die anderen Abgeordneten, manche schärfer, manche weniger scharf. So räumte Abgeordneter Josef Arthold (V) ein, die Regierungsparteien seien selber Schuld, dass sie beim Jute-Abkommen keine Redezeitbeschränkung beschlossen hätten, dennoch meinte er, müsse es der Parlamentsmehrheit in Wahrnehmung ihrer Verantwortung möglich sein, zu handeln und Probleme zu lösen. Abgeordneter Harald Ofner (F) hielt fest, es sei durchaus legitim, "dass man zwei Tage filibustert", die Grünen hätten jedoch einen beispiellosen Zynismus an den Tage gelegt und mit Unterstellungen agiert.
Mehrere Abgeordnete beriefen sich auf die Bevölkerung und bekräftigten, die Grünen hätten der Demokratie einen schlechten Dienst erwiesen und die Politikverdrossenheit gefördert. Die Leute fragten sich mehrheitlich, ob das Parlament "keine anderen Sorgen" habe.
Auch Abgeordneter Jörg Haider argumentierte in diese Richtung und stellte die Frage, ob die Grünen so, wie sie für das Tropenholz kämpften, auch für die österreichischen Arbeitsplätze und die österreichischen Bauern kämpfen würden. "Sie sollten sich auch einmal den Kopf zerbrechen darüber, wie Sie für jene Menschen etwas tun können, die Not leiden und die erwarten, dass sich die Parlamentarier von Österreich für die österreichische Bevölkerung einsetzen, anstatt hier stundenlang über Jutesäcke zu reden. Sie sollten endlich einmal das Hirn einschalten und die Interessen der österreichischen Bevölkerung ernster nehmen", formulierte er.
Eine andere Argumentationslinie verfolgte Abgeordneter Gerhart Bruckmann (V). Er gab zu bedenken, dass sich mit einer Absetzung der Novellierung des Tropenholzgesetzes überhaupt nichts ändern würde. Österreich habe zuletzt jährlich lediglich 16.000 Tonnen Tropenholz importiert, skizzierte er, das sei eine "Quantite negligeable" und lediglich 0,002 % am weltweiten Tropenholzeinschlag, wie der damalige ÖVP-Abgeordnete Martin Bartenstein präzisierte. In den Augen der betroffenen Länder stelle Österreichs Vorgehen allerdings, so Bruckmann, "einen frechen und arroganten Rückfall in kolonialistische Allüren dar". "Wir reichen Länder, die wir 80 Prozent der Umweltproblematik der Erde verursachen, wollen den anderen Ländern, die die restlichen 20 % verursachen, verbieten, aus einem ihrer wenigen Rohstoffe einen geordneten, kontrollierten Nutzen zu ziehen, während wir selbst unsere Wälder entweder schon längst abgeholzt haben oder eben fröhlich abholzen." Es sei, so Bruckmann, keine Schande, ein paar Schritte zurückzugehen, wenn sich ein Weg als nicht zielführend erwiesen habe.
Die Änderung des Tropenholzgesetzes wird mehrheitlich beschlossen
Nachdem der Antrag der Grünen auf Absetzung der Gesetzesnovelle zum Tropenholzgesetz abgelehnt worden war, konnte Nationalratspräsident Fischer endlich die 107. Sitzung des Nationalrats beenden und die 108. Sitzung eröffnen. Nach einer Fragestunde mit Justizminister Nikolaus Michalek, stand, um 17.37 Uhr, endlich das Tropenholzgesetz selbst zur Debatte. Dieses Mal hatten die Abgeordneten wohlweislich eine Redezeitbeschränkung beschlossen, wenn auch eine für heutige Verhältnisse durchaus großzügige: SPÖ 130 Minuten, ÖVP 120, FPÖ 100, Grüne 70, Liberales Forum 60. Der fraktionslosen Abgeordneten Gabrielle Traxler wurden 20 Minuten zugestanden.
Noch einmal wurde in der Debatte um die Beibehaltung der Kennzeichnungspflicht gerungen, noch einmal den Grünen heftigste Vorwürfe für ihre Marathonreden gemacht, noch einmal die bereits bekannten Pro- und Contra-Argumente ausgetauscht.
So sprach SPÖ-Abgeordneter Peter Jankowitsch den Grünen jegliche demokratische Gesinnung ab und rief zu einer realistischen und nüchternen Einschätzung der Situation in Bezug auf die Kennzeichnungspflicht für Tropenholz auf. Sein Fraktionskollege Karl Schlögl ergänzte, ein Justament-Standpunkt Österreichs würde keinen einzigen Baum retten, dafür österreichische Aufträge und Arbeitsplätze gefährden. ÖVP-Abgeordneter Richard Kaiser berichtete über eine Reise in die betroffenen Länder, bei der er den Eindruck gewonnen habe, dass die Bewirtschaftung der Wälder dort sehr wohl nachhaltig erfolge und der Umwelt kein Schaden zugefügt werde.
Von den Koalitionsparteien kündigten lediglich die Abgeordneten Heribert Steinbauer (V) und Günter Dietrich (S) an, gegen die Rücknahme der Kennzeichnungspflicht zu stimmen. "Ich glaube, wir haben heute den Weg einer richtigen Umweltpolitik verlassen, wir haben zweitens einen Handelskrieg verloren, und wir haben drittens viel Vertrauen bei vielen jungen Menschen verspielt", führte Steinbauer aus und fügte hinzu, dass noch vor wenigen Wochen versichert worden sei, bei der Kennzeichnungspflicht zu bleiben. Auch er selbst sei " beschwichtigt, beruhigt und angelogen worden."
Seitens der FPÖ verurteilte Abgeordneter Gerulf Murer (F) mit scharfen Worten die Zerstörung der Regenwälder, aber auch die Abholzung der Wälder in Sibirien und Kanada und warb für den Gesetzesantrag seiner eigenen Fraktion. Dieser sah vor, den Import von Waldprodukten von der Erhaltung bestehender Primärwälder und einer nachhaltigen Nutzung der Wälder abhängig zu machen. Die anderen Fraktionen seien viel zu überheblich gewesen, um den FPÖ-Antrag überhaupt zu diskutieren, beklagte er. Generell wurde den Regierungsparteien von den FPÖ-Abgeordneten Inkompetenz unterstellt und daran erinnert, dass die FPÖ im Juni 1992 gegen die Kennzeichnungspflicht von Tropenholz gestimmt hatte.
Abgeordnter Thomas Barmüller plädierte namens des Liberalen Forums für mehr Verständnis gegenüber den Produzentenländern. Nicht Diskriminierung, sondern Unterstützung müsse die Lösung sein, sagte er. Als Kompromisslösung schlug Barmüller vor, im Sinne einer "echten Produktinformation" die Kennzeichnungspflicht auf alle Holzprodukte auszudehnen, sodass sowohl Holzart als auch die geographische Herkunft ersichtlich seien, und brachte einen entsprechenden Entschließungsantrag ein.
Abgeordnete Monika Langthaler (G) meinte, dass die Schaffung eines Gütesiegels keine Antwort auf die Regenwaldzerstörung sei, zumal eine nachhaltige Nutzung bei Tropenwald nicht möglich wäre. Sie prophezeite ökologische Katastrophen in Malaysia.
Von den Regierungsmitgliedern wurden unterschiedliche Positionen vertreten. Während der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Schüssel Steinbauers "Untergriffe" als unfair zurückwies und betonte, man solle in Zukunft echte Lösungen "und nicht reine Symbolhandlungen wie das Tropenholzpickerl" anstreben, hielt Umweltministerin Maria Rauch-Kallat fest, sie sei über die heutige Rücknahme traurig, da die Kennzeichnungspflicht vor allem für die umweltbewegte Jugend ein Symbol gewesen sei.
Nach 5 Stunden und 4 Minuten wurde die Debatte schließlich beendet und die Änderung des Tropenholzgesetzes – begleitet von zwei Entschließungen - mehrheitlich verabschiedet. Die Anträge der Opposition fanden keine Mehrheit.
Um 23.48 Uhr waren schließlich auch die restlichen Tagesordnungspunkte erledigt, und nicht nur die Abgeordneten, sondern auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Parlaments konnten endlich nach Hause gehen. Auch wenn Parlamentsdirektor Heinz Wasserbauer gegenüber der APA zu Mittag noch versichert hatte, dass die Bediensteten des Hauses bei ausschließlicher Konzentration auf die Aufrechterhaltung des Sitzungsbetriebs "noch eine ganze Woche durchhalten könnten".
Insgesamt umfasst das Stenographische Protokoll der beiden Nationalratssitzungen 494 Seiten, allein die Rede Petrovics ist 74 Seiten lang.
Nachspiele in den Medien und im Parlament
Die Filibuster-Debatte hatte allerdings noch einige Nachspiele, zunächst in den Medien, später im Parlament. Während die Grünen Nationalratspräsident Fischer und Dritter Präsidentin Schmidt in einer Pressekonferenz wegen der Zusammenziehung der Untersuchungsausschuss-Debatten Rechtsbruch vorwarfen, äußerte sich der damalige SPÖ-Zentralsekretär Josef Cap in einer Presseaussendung überzeugt, es sei den Grünen nicht primär um den Schutz des Tropenwaldes gegangen, sondern um die Ausschaltung der Parlamentsarbeit. ÖVP-Klubobmann Heinrich Neisser sprach in einem "Presse"-Interview u.a. von einer "politischen Instinktlosigkeit der Grünen", "rhetorischem Plunder" und "teils debilen Beifallskundgebungen der grünen Fraktion" und mahnte, alles zu unternehmen, um das Parlament nicht zu einer "Quatschbude zu degenerieren."
Die von Neisser im Interview angekündigte Änderung des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrats ließ denn auch nicht lange auf sich warten. Bereits im Juli desselben Jahres wurde die Redezeit jedes Abgeordneten im Nationalrat auf maximal 40 Minuten beschränkt, drei Jahre später im Rahmen einer großen Geschäftsordnungsreform sogar auf 20 Minuten herabgesetzt. Gleichzeitig einigten sich SPÖ, ÖVP, Grüne und Liberale im Rahmen dieser großen Reform auch auf die Beschränkung von Sondersitzungen, Dringlichen Anfragen und anderen so genannten parlamentarischen "Sonderaktivitäten", um die Sitzungen des Nationalrats weiter zu straffen.
Die Sinnhaftigkeit dieser Schritte wurde 1996 nur von einer Minderheit der Abgeordneten bezweifelt. Die Geschäftsordnungsreform werde dazu führen, dass die Abgeordneten keine "Fidel-Castro-Reden" mehr halten und es zu einer raschen Abfolge von Argumenten komme, meinte etwa SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka, und auch ÖVP-Klubobmann Andreas Khol sowie die Abgeordneten des Liberalen Forums zeigten sich überzeugt, dass die Redezeitverkürzung zu einem lebendigeren Parlamentarismus beitragen werde. Man könne in der vorgesehenen Redezeit sehr wohl zum Ausdruck bringen, was man zum Ausdruck bringen möchte, meinte etwa L-Abgeordneter Volker Kier. Seitens der Grünen erklärte Abgeordneter Andreas Wabl, seine Fraktion stimme den Änderungen zu, weil sie es für unvertretbar halte, dass sich die Abgeordneten "tage- und nächtelang anagitieren". Nur die FPÖ protestierte heftig.
Ganz haben sich die Abgeordneten vom Instrument des Filibusterns allerdings nicht verabschiedet. Gelegentlich greift die Opposition, wenn sie besondere Protestmaßnahmen setzen will, noch darauf zurück, wobei sie aufgrund der Redezeitbeschränkungen im Plenum des Nationalrats auf die Ausschüsse ausweichen muss. So versuchte etwa der Sozialsprecher der Grünen, Abgeordneter Karl Öllinger, im Mai 2003 im Budgetausschuss des Nationalrats rund sechseinhalb Stunden lang die massiven Einwände seiner Fraktion gegen die Pensionsreform darzulegen. Und der Rechnungshofausschuss tagte im Oktober 2004 die ganze Nacht hindurch, weil SPÖ und Grüne sich nicht mit der Weigerung der Regierungsfraktionen, weitere Auskunftspersonen zum Eurofighter-Kauf zu laden, abfinden wollten.
Piraten als Vorbild
Nicht überall wird das Instrument des Filibustern übrigens so negativ bewertet wie in Österreich. Im Senat der Vereinigten Staaten etwa, aus dem die Bezeichnung Filibuster für Dauerrede kommt, wird der Filibuster als Teil des checks-and-balances-Systems gesehen und grundsätzlich als legitimes politisches Mittel akzeptiert, auch wenn er öfters angedroht als tatsächlich in Anspruch genommen und in konkreten Anlassfällen immer wieder in Frage gestellt wird.
Etymologisch leitet sich das Wort "Filibuster" vom spanischen "Filibustero" ab, ein Begriff, der aus dem Französischen "flibustier" herkommt, das seinerseits eine Verballhornung des niederländischen "vrijbuiter" (Freibeuter) darstellt und spanische und portugiesische Piraten beschreibt, die vom 17. bis zum 19. Jahrhundert die Küsten Mittel- und Südamerikas sowie die Karibik unsicher machten. "Filibustern" im Parlament ist demnach eine Form der verbalen Zeit-Piraterie.
Allerdings ist das "Filibustern" kein Phänomen der Neuzeit. Schon im alten Rom gab es Dauerreden. Mittlerweile haben sich die Methoden jedoch verfeinert. Heute werden unter dem Begriff "Filibusterei" nicht nur Marathonreden, sondern auch andere Verzögerungstaktiken bei Parlamentsdebatten, etwa durch massive Abänderungs- und Geschäftsordnungsanträge oder verlängerte Abstimmungsprozesse, subsumiert. So kennt man etwa in Japan ein Gebaren, das sich ushi aruki, "den Kuhgang einlegen", nennt und bei dem sich die Abgeordneten betont langsam, mit demonstrativ kleinen Schritten, zur Wahlurne bewegen. In der Nationalversammlung von Ontario, Kanada, generierte eine Fraktion 1997 mit Hilfe eines Computers 11.500 Änderungsvorschläge zu einem Gesetz, deren Abstimmung mehrere Tage dauerte. Auch im Abgeordnetenhaus des Reichsrats, dem österreichischen Parlament zur Zeit der Monarchie, war Filibusterei kein Fremdwort.
Weltmeister im parlamentarischen Dauerreden dürfte übrigens der langjährige US-Senator Strom Thurmond mit 24 Stunden und 18 Minuten (1957) sein, gefolgt von Wayne Mors, Senator aus Oregon, der 1953 22 Stunden und 26 Minuten sprach. Als Phantom entpuppte sich hingegen ein gelegentlich in den Medien genannter texanischer Senator namens Bill Meiers, dem eine 43-Stunden-Rede zugeschrieben wird.
Und was wurde aus dem Tropenholz?
Äußerst spannend wäre es zuletzt, der Frage nachzugehen, ob die Tropenholzdebatte langfristige Auswirkungen auf die Einstellung der Österreicherinnen und Österreicher zu Tropenholz hatte und wie die damaligen Akteure heute zu Tropenholz stehen. Im parlamentarischen Diskurs spielte das Thema jedenfalls schon bald keine besondere Rolle mehr. Im Frühling 1997 kam der Gegenstand im Zusammenhang mit der – einstimmig erfolgten – Ratifizierung des Internationalen Tropenholzübereinkommens 1996 durch den Nationalrat zwar nochmals aufs Tapet, außergewöhnlich engagiert wurde die Debatte darüber aber, wie das Stenographische Protokoll der Sitzung zeigt, nicht geführt. In der XXI. Gesetzgebungsperiode (1999 bis 2002) ergibt eine Volltextsuche in sämtlichen Parlamentarischen Materialien überhaupt nur noch drei Treffer zum Begriff Tropenholz, darunter eine schriftliche Anfrage betreffend österreichische Safari-Jäger in Südafrika.
Zuletzt tauchte der Begriff Tropenholz in zwei Berichten von Wirtschaftsminister Martin Bartenstein betreffend EU-Arbeitsprogramm 2005 und 2006 sowie in einer Anfragebeantwortung von Umweltminister Josef Pröll betreffend Österreichische EU-Präsidentschaft, Leistungen und Ergebnisse, auf. Bartenstein berichtete, dass die EU ein neues Internationales Tropenholz-Übereinkommen anstrebe, nachdem das alte Übereinkommen Ende 2006 auslaufen werde, Pröll nahm die "erfolgreiche Verhandlungsführung bei der Erneuerung des Internationalen Tropenholzabkommens (ITTA)" in seine Erfolgsliste im Rahmen des österreichischen EU-Vorsitzes im ersten Halbjahr 2006 auf. Den Abgeordneten im Wirtschaftsausschuss war das Tropenholz-Übereinkommen, folgt man der Meldung der Parlamentskorrespondenz, aber keine Erwähnung wert.
Für alle am Thema Interessierten: In Kraft treten wird das im Jänner 2006 unterzeichnete neue Internationale Tropenholzübereinkommen (International Tropical Timber Agreement 2006) voraussichtlich 2008.
Hinweis: Die PK veröffentlicht in loser Folge Berichte über "Reden, die Geschichte machten". Die Serie wird fortgesetzt.
(Schluss)