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60 Jahre „Rotes Telefon“
Alles beginnt im Oktober 1962, als die Welt gerade ganz knapp an einem atomar geführten Dritten Weltkrieg vorbeigeschrammt ist. Der Grund für den Fast-Krieg ist derselbe, der häufig scheiternden Beziehungen vorgeworfen wird: fehlende Kommunikation.
Kuba-Krise als Wegbereiter
Aber von Anfang an: Im Oktober 1962 – inmitten des Kalten Krieges – entdecken die USA auf einmal sowjetische Raketenstellungen auf Kuba, also quasi im eigenen Hinterhof. Diese hätten Ziele in ganz Nordamerika treffen können. Die USA gehen dagegen vor, indem sie vor Kuba eine Seeblockade errichten und der Sowjetunion so den Weg zur Karibikinsel abschneiden. Doch das akzeptieren die Sowjets nicht und nähern sich der Blockade mit einer eigenen Flotte. An diesem Tag hätte es zu einer verheerenden Schlacht kommen können, doch in letzter Minute drehen die Sowjets ab und der Dritte Weltkrieg ist verhindert.
Denn kurz vor Schluss können sich USA und Sowjetunion doch noch einigen. Der russische Regierungschef Nikita Chruschtschow verkündet offiziell, die Atomwaffen wieder von Kuba abzuziehen. Da die Botschaften damals aber einen halben bis ganzen Tag brauchen, um von Ost nach West zu gelangen, endet die Kuba-Krise brenzliger, als es hätte sein müssen.
Geburtsstunde des „Roten Telefons“
Damit ist klar: Eine neue Art der Kommunikation muss her, um einen direkten Kontakt zwischen den USA und der Sowjetunion zu ermöglichen und gefährliche Krisen zu bewältigen. Eigentlich bizarr, dass die beiden Supermächte in der Lage waren, Atome zu spalten und Bomben zu bauen, aber keine direkten Nachrichten miteinander austauschen konnten.
Wenige Monate nach der Kuba-Krise, am 30. August 1963, stand die Hotline schließlich und wurde bekannt als „Heißer Draht“ beziehungsweise „Rotes Telefon“. Vor allem letztere Bezeichnung ist äußerst irreführend, da es sich bei dieser Direktverbindung weder um ein Telefon handelte noch die Farbe Rot eine Rolle spielte. Es war eine Fernschreiberverbindung, die wie ein Fax-Gerät geschriebene Nachrichten von Ost nach West und andersherum übermittelte. Von Moskau aus durchquerten die Botschaften zunächst die Stationen Helsinki, Stockholm, Kopenhagen und London und landeten dann per Unterseekabel in New York und Washington.
Vier Jahre Funkstille
Doch wie so oft, wenn man für den Ernstfall gerüstet ist, tritt dieser nicht ein. Nach Installation des Roten Telefons stand dieses erst einmal vier Jahre lang still. Erst am 5. Juni 1967 „klingelte“ es zum ersten Mal offiziell, und zwar zu Beginn des Sechstagekriegs zwischen Israel und Ägypten. Auch während der folgenden Nahostkrisen und beim Einmarsch der Sowjets in Afghanistan 1979 erwies sich das Telefon, das keines war, als äußerst hilfreich.
Wenn mal länger keine aktuellen Anlässe anstanden, wurden zumindest in regelmäßigen Abständen Testbotschaften gesendet, um im Ernstfall eine funktionierende Verbindung zu gewährleisten. Die USA sendeten dann unter anderem den kryptischen Satz „The quick brown fox jumps over the lazy dog“ („Der schnelle braune Fuchs springt über den faulen Hund“). So wenig Sinn die Botschaft auch ergeben mag, sie enthält in der englischen Version alle Buchstaben des Alphabets und eignet sich daher prima für Tests.
Auch wenn das „Rote Telefon“ wie ein Relikt aus dem Kalten Krieg wirken mag: Es existiert 60 Jahre nach seiner Installation immer noch, allerdings in Form modernerer Technik. Und vor dem Hintergrund des Kriegs in der Ukraine kommt die Direktverbindung traurigerweise auch wieder häufiger zum Einsatz.