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Wie kreativ sind unsere Jugendlichen?

Kreative Menschen sind nicht nur künstlerisch begabt, sie sind auch innovativ und kommen auf neuartige Lösungen für Probleme. Doch wie sieht es mit der Kreativität der heutigen Jugendlichen aus? Das hat die PISA-Studie 2022 erstmals mituntersucht. Was kam dabei heraus? Was macht besonders originelle Denker aus? Und lässt sich Kreativität trainieren?
THE, 21.06.2024
Symbolbild Kreativität

© dorian2013, iStock

Vor euch liegt ein Comic mit vier Bildern. Auf dem ersten sind die Sonne und die Erde abgebildet, mit jeweils einer leeren Sprechblase. Dann ein Bild nur der Sonne mit einer Sprechblase, dann die Erde und dann wieder beide. Das klingt wie eine ziemlich langweilige Abfolge, doch dahinter steckt eine Aufgabe der jüngsten PISA-Studie. Diese testet in dreijährigen Abständen die schulischen Leistungen von 15-jährigen Jugendlichen im internationalen Vergleich. Bisher testete die PISA-Studie ausschließlich die Disziplinen Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften unter Jugendlichen.

Im Jahr 2022 sollten die Jugendlichen erstmals auch ihre Kreativität unter Beweis stellen, indem sie beispielsweise innerhalb von fünf Minuten einen möglichst originellen Dialog zwischen den beiden Himmelskörpern erstellen.

PISA-Test untersucht erstmals kreatives Denken

Der Grund für das Interesse der Tester: Kreativität kann jungen Menschen in Zukunft helfen, sich an eine ständig und schnell verändernde Welt anzupassen – und beispielsweise innovative Lösungen für Klimaschutz, den Umgang mit künstlicher Intelligenz und andere Herausforderungen zu finden. „Organisationen und Gesellschaften auf der ganzen Welt sind zunehmend auf Innovation und Wissensschaffung angewiesen, um aufkommende und komplexe Herausforderungen zu bewältigen. Das macht kreatives Denken als kollektive Fähigkeit sehr wichtig“, heißt es auf der Seite der PISA-Studie.

Neben dem Comic-Dialog sollten sich die Jugendlichen in den Tests beispielsweise überlegen, wie man das Bewusstsein für die Bedeutung von Bienen stärken kann oder ein Plakat zum Thema „Leben im Weltall“ designen. Eine hohe Punktzahl erhielten dabei diejenigen, deren Antwort besonders originell war und daher international am seltensten genannt wurde. Eine häufige Idee, das Bewusstsein für die Bedeutung von Bienen zu stärken, könnte etwa sein, ein Plakat zu gestalten. Eine originellere wäre es vielleicht, eine Influencer-Kampagne mit bestimmten Stars zu organisieren, oder ein Spiel zu entwickeln.

„Der Fokus der Studie liegt auf der Frage, ob sich die Jugendlichen eine originelle Idee ausdenken, fremde Ideen weiterentwickeln und sich mehrere Ideen zur gleichen Frage einfallen lassen können“, erklärt Doris Lewalter, Leiterin des deutschen Teils der PISA-Studie.

Deutschland liegt im Durchschnitt

Das Ergebnis: Während 27 Prozent der deutschen Jugendlichen laut PISA-Test besonders kreativ denken, sind 22 Prozent der Jugendlichen kaum in der Lage, Ideen für einfache visuelle Designs und schriftliche Darstellungen zu entwickeln oder Lösungen für Probleme zu finden. Diese Ergebnisse hängen teilweise auch mit der sozialen Herkunft der Schüler zusammen: In Deutschland übertrafen sozioökonomisch begünstigte Schüler, deren Eltern wohlhabend sind und einen hohen Bildungsabschluss haben, die sozioökonomisch besonders benachteiligten Schüler im kreativen Denken um elf von insgesamt 60 Punkten.

Im internationalen Vergleich entsprechen die durchschnittlichen Kreativ-Kompetenzen der 5.900 deutschen Schüler etwa dem Durchschnitt der Ergebnisse in den anderen OECD-Staaten – dies sind vornehmlich die Staaten Europas und Nordamerikas, aber auch Japan, Chile oder Neuseeland gehören dazu. Auf einer Stufe mit Deutschland stehen beispielsweise Spanien, Frankreich und Israel. Die größte Kreativkompetenz in den OECD-Staaten haben die 15-Jährigen in Korea, Kanada, Australien und Neuseeland. Berücksichtigt man alle teilnehmenden Staaten, liegt Singapur an der Spitze.

Schüler bei einem Projekt zum Roboterbau
Die Fähigkeit zum kreativen Denken scheint stark mit Kompetenzen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften verknüpft zu sein.

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Woher kommt Kreativität?

Den stärksten Zusammenhang der höheren Kreativität fand das Forschungsteam mit den in der PISA-Studie getesteten Kompetenzen in Mathematik, Lesen und Naturwissenschaften. „Wenn Schülerinnen und Schüler lernen, mathematisches und naturwissenschaftliches Wissen anzuwenden und Texte zu verstehen, dann prägen sie offenbar zugleich ein kreatives Denken aus“, sagt Lewalter. Umgekehrt könnte aber auch eine hohe Kreativität dazu führen, dass man besonders gut in Mathematik, Naturwissenschaften und Sprachen ist. Oder es gibt einen dritten Faktor, der beide Fähigkeiten steigert.

So zeigen Studien, dass Menschen, die offen für intellektuelle Herausforderungen, neue Erfahrungen oder ästhetische Empfindungen sind, im Durchschnitt auch kreativer denken können. Lewalter und ihre Kolleginnen sind der Meinung, dass dies der wichtigste Faktor bei der Kreativität der Jugendlichen sein könnte. Doch es existierte noch eine zweite Eigenschaft, die hohe Kreativitäts-Testergebnisse vorhersagte: die eigene Überzeugung der getesteten 15-Jährigen. Hatten sie die Erwartung, dass sie die Aufgaben aufgrund der eigenen Fähigkeiten erfolgreich meistern können, schnitten sie auch besser ab.

Lässt sich Kreativität trainieren?

Für die Ausbildung des kreativen Denkens im Laufe des Lebens spielen laut dem Bericht von Lewalther und ihrem Team außerdem – wie bei vielen Persönlichkeitsmerkmalen und Fähigkeiten – vor allem ein Mix aus angeborenem Temperament und dem Umfeld eine Rolle. Beispielsweise werden junge Menschen, die Zugang zu einem Angebot kreativer Aktivitäten oder einem kreativitätsförderlichen Unterricht haben, mit der Zeit oft origineller.

Auch eine Metaanalyse von Wissenschaftlern der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Potsdam aus dem Jahr 2023 zeigt, dass sich Kreativität steigern lässt. Den größten Effekt haben demnach Trainings, welche den Teilnehmenden über mehrere Wochen das Konzept der Kreativität nahebringt und ihnen eine Reihe an Kreativ-Methoden, wie Mind-Mapping oder Brain-Dumping, beibringt. Für eine ähnliche Kreativitätssteigerung sorgten außerdem Meditieren und kulturelle Erfahrungen wie Auslandsaufenthalte.

„Kreatives Denken kann gefördert werden“, betont deshalb Lewalter. „Dafür brauchen wir nicht etwa ein Schulfach Kreativität. Im Gegenteil sollten die Schülerinnen und Schüler in jedem Unterrichtsfach die Möglichkeit und Anregung zum kreativen Denken erhalten.“ Laut ihr reicht es, wenn Lehrer für unterschiedliche Ideen offen sind und Antworten nicht sofort als richtig oder falsch abstempeln, sondern vermeintlich schiefe Lösungsansätze gemeinsam weiterentwickeln.

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