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ADB:Vogel, Eduard

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Artikel „Vogel, Eduard“ von Friedrich Ratzel in: Allgemeine Deutsche Biographie, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Band 40 (1896), S. 100–108, Digitale Volltext-Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=ADB:Vogel,_Eduard&oldid=- (Version vom 8. November 2024, 07:38 Uhr UTC)
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Vogel, Friedrich
Band 40 (1896), S. 100–108 (Quelle).
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Vogel: Eduard V., Afrikareisender und Astronom (1829–56), geboren zu Crefeld am 7. März 1829 als dritter Sohn des Directors der Stadtschule Karl V., der später als Schulmann und pädagogischer Geograph rühmlich bekannt geworden ist und besonders in Leipzig, wohin er 1832 übersiedelte, sich als Director der ersten Bürgerschule und Gründer der Realschule einen guten Namen gemacht hat. Eduard besuchte in Leipzig die Bürgerschule, dann das [101] Thomasgymnasium, wo der Mathematiker Hohlfeld und der Conrector Jahn, dessen Privatsternwarte sich ihm öffnete, den größten Einfluß auf ihn übten. Er sammelte und zeichnete eifrig Pflanzen, war für Geographie im Elterhause früh gewonnen worden, wo mit Vorliebe Reisewerke vorgelesen wurden (sein Großvater von mütterlicher Seite, Lang, hatte Reisebeschreibungen herausgegeben), zeigte mehr Liebe und Anlagen für neuere als alte Sprachen und beschäftigte sich auf der Universität Leipzig, die er 1846 bezog, mit Vorliebe mit Astronomie und Physik, dann in Berlin, wohin er 1850 übersiedelte und mit Encke, Galle, Humboldt und Ritter bekannt wurde, mit Astronomie und Geographie. Seine astronomischen Studiengefährten waren R. Luther und G. Rümker. Noch ehe er seine Studien ganz vollendet hatte, erhielt er durch Encke’s Empfehlung einen Ruf an die Bishop’sche Privatsternwarte in London, die damals Hind leitete. Er wurde in die Kreise der Astronomen und Geographen eingeführt, gewann nähere Beziehungen zu Bunsen und trat in freundschaftlichen Verkehr mit Berthold Seemann und August Petermann, die ihn für die großen Fragen der Geographie Afrikas und der Arktis immer mehr zu erwärmen wußten. Ende 1852 waren hocherfreuliche und hoffnungsvolle Nachrichten aus dem Innern Afrikas eingetroffen. Die anfänglich durchaus nicht groß gedachte und durch den frühen Tod ihres Führers James Richardson früh verwaiste centralafrikanische Expedition der englischen Regierung hatte durch die Energie der zwei übrigen Mitglieder Barth und Overweg unverhoffte Erfolge erzielt. Baghirmi, Kanem, Musgu, die Inseln der Budduma und das entlegene Adamaua waren von Kuka aus planmäßig erforscht worden und die im August 1852 abgegangenen Briefe der Reisenden verhießen noch weit mehr für die Zukunft, zumal sie freudig den Empfang einer großen Sendung aus England ankündigen konnten, die sie aus ihrer bisherigen beengten Lage befreite. Daß Overweg (s. A. D. B. XXV, 19) wenige Wochen darauf sterben sollte (am 27. September), ahnte Barth nicht, der am 13. Juli 1852 noch geklagt hatte „was sind zweier Menschen Arbeiten für diese weite und beschwerliche unbekannte Welt“, und nun allein im fernen Lande blieb. Aber unter den Freunden der Afrikaforschung erhöhten die Erfolge der beiden deutschen Reisenden die bisher schwache Hoffnung auf ausgiebigere Unterstützung. Dem vorwiegend philologisch gebildeten Barth und dem Geologen Overweg einen tüchtigen Astronomen zur Seite zu stellen, der durch zuverlässige Ortsbestimmungen die noch ganz unsichere Karte des centralen Sudan auf einen festen wissenschaftlichen Grund stellen sollte, erschien als das vor allem Gebotene. Niemand hatte die Arbeiten Barth’s und Overweg’s eifriger studirt und Niemand wol auch gründlicher kartographisch geprüft und zu verwerthen gesucht als der damals in London weilende August Petermann, der mit dem jungen Assistenten an der Bishop-Sternwarte seine Eindrücke austauschte. V. hatte schon im Herbst 1852 schwer dem Gedanken entsagt, die Polarreise des Capt. Inglefield zu begleiten. Anfang Januar 1853 richtete Petermann die Frage an ihn, ob er wol nach dem Tsadsee gehen möchte, „da jubelte er vor Freude und versicherte, er würde spätestens in acht Tagen bereit sein, dahin abzugehen, wenn er das Glück hätte, den Auftrag dazu zu erhalten“. Petermann ergriff die Zusage mit dem ihm eigenen Feuer. Er schätzte außer den astronomischen die botanischen Kenntnisse Vogel’s, kannte seinen Fleiß und seine Begeisterung für die Sache und schrieb in diesem Sinn schon am 11. Januar an Bunsen, der früher die Angelegenheiten Barth’s und Overweg’s so wesentlich gefördert hatte, und rasch die Wichtigkeit des ihm vorgelegten Planes einsah. V. hatte sich die Achtung und das Vertrauen einflußreicher Männer, wie Sabine’s, Hooker’s und des Admirals Smyth erworben, die ihre Stimmen für ihn abgaben. Petermann citirt einen Brief, worin es heißt, „daß es schwer sein [102] würde, in ganz England einen Mann von seinem Alter zu finden, der soviel Fähigkeiten eines tüchtigen Reisenden besäße, wie Dr. E. Vogel“. Der damalige Minister des Auswärtigen, Lord John Russell genehmigte ohne Verzug die Entsendung des jungen Gelehrten, der bereits am 19. Februar in Begleitung eines Unterofficiers und Gemeinen vom Ingenieurcorps London verließ. Am Tag darauf langte hier die Todesnachricht Overweg’s und in dem gleichen Briefe die Ankündigung Barth’s an, seine geplante Reise nach Timbuktu dennoch antreten zu wollen. Für V. fiel also der Anlaß zur Eile weg, umsomehr, als sich bald herausstellte, daß die Nachsendung eines Boten an Barth nach Kano wegen der Unruhen im südlichen Tuareggebiet nicht thunlich sei; zugleich aber vermehrten und erschwerten sich seine Aufgaben, da er erwarten mußte, allein in Bornu bis zu Barth’s Rückkehr zu bleiben. In seinen Instructionen war, im Falle er gezwungen sein sollte, ohne ihn zurückzukehren, der Weg über Sansibar freigestellt, was uns heute fast vermessen vorkommt, ihm aber als das schönste Ziel winkte. Er verweilte in Tripolis, Nachsendungen zur Ausrüstung und Geschenke für den Scheich von Bornu erwartend, Instrumente prüfend und seine Leute in ihrem Gebrauch einübend, bis Ende Juni und machte kürzere Ausflüge nach Lebda und Kussabat im Mesellatagebirge. Ein Sturz vom Pferde verzögerte noch in den letzten Tagen seine Abreise und einen seiner englischen Begleiter mußte er als krank zurücklassen. Trotzdem er so mitten in der heißen Zeit gerade die Wüstenreise antreten mußte, verließ er froh mit der stolzen Losung „zum Indischen Ocean“ am 28. Juni 1853 Tripolis. Schon am 5. August traf er wohlbehalten auf dem gewöhnlichen Weg Beniolid-Sokna in Mursuk ein; die Temperaturen bis 38° C. im Schatten und 49° in der Sonne, ertrug er, vielleicht als erster Europäer, der die Wüste in dieser Jahreszeit durchschritt, ohne Schaden und hatte in seiner ganzen Karawane keinen Krankheitsfall zu beklagen. Der Dolmetscher des englischen Consulates, F. Warrington, der ihn begleitete, stand ihm bei der Leitung der Karawane bei, der sich noch in Mursuk ein Vetter des Scheichs von Bornu anschloß, wodurch die Karawane die für den nie ganz sicheren Weg Mursuk-Bornu nothwendige Größe erreichte. V. blieb auch in dem ungesunden Mursuk von den Fiebern verschont, die fast alle Mitglieder der Karawane befielen, und benutzte seine Zeit, um die bisherigen Beobachtungen auszuarbeiten und auf Karten und Profilen niederzulegen. Diese ersten Ergebnisse sind im 24. Bd. des Journal of the R. Geographical Society und dem ersten der Geographischen Mittheilungen veröffentlicht und enthalten eine reiche Nachlese von Verbesserungen zu der damals gebräuchlichen Karte von Lyons. Im September machte er einen Ausflug nach den Natronseen bei Mandra und Bimbedja n.w. von Mursuk. Mit seinen ersten Pflanzensammlungen sandte er an den ihm befreundeten B. Seemann die ersten Ergebnisse seiner botanischen Beobachtungen, darunter eine kleine Monographie der Datteln von Fessan und genaue Beobachtungen über die Grenzen der Culturpflanzen; an Oberst Sabine sandte er eine kurze Darstellung des Klimas von Mursuk, an Bunsen Mittheilungen über die politische und Wirthschaftsgeographie Fessans und des Tibbu-Landes. Anfangs November war endlich die Karawane bereit, die Grenze von Fessan zu überschreiten, V. schrieb, etwas ermattet von der Wüstenreise, von Aschenumma, wenig nördlich von Bilma, am 26. Novbr. einen seiner liebenswürdigen, heiteren Briefe an seine Mutter und ein kurzes Billet vom 3. Januar 1854 meldete seine Ankunft am Tsadsee zugleich mit dem hypsometrischen Gesammtergebniß seiner Wüstenreise. Mit der ersten nach Norden gehenden Karawane war er bereits im Stande, seine Orts- und Höhenbestimmungen bis nach Kuka nebst Karte einzusenden. Als er am 13. Januar in Kuka angekommen war, warf ihn ein heftiger Fieberanfall nieder. Trotz der [103] Thronrevolution, die damals den Prinzen Abdurrahman an die Stelle des Scheich Omar brachte, konnte V. ruhig die Umgebung Kuka’s sammelnd durchstreifen und unbelästigt seine Vorbereitungen zur größeren Reise treffen. Statt nach Sansibar oder Mombas schien es ihm jetzt, wo er einen Theil der Schwierigkeiten bereits schätzen konnte, räthlicher über Wadaï und Dar For nach Kordofan durchzudringen. Vorher wünschte er aber dem Schari zu folgen und womöglich den Benuë näher zu erforschen. Er bittet im Februar 1854 Petermann: „Wenden Sie alles auf, daß man mich hier läßt, wenigstens noch für zwei oder drei Jahre; mit der Zeit ist alles möglich“. Nachdem er von einem zweiten gefährlicheren Fieber, das ihn Wochen arbeitsunfähig machte, sich erholt hatte, machte er einen Kriegszug des Scheich gegen die Musgu mit, nicht ohne Hoffnung, daß Barth im Süden, in Adamaua sein und er ihm begegnen könnte. Es war einer jener gewöhnlichen Raubzüge, die schon Denham und Barth beschrieben haben, der aber dieses Mal etwas weiter führte, sodaß V. bis 9° 30′ N. B. vordringen konnte. Die ersten genauen Höhenmessungen, die die auffallend geringe Erhebung dieses Striches – nirgend über 290 m – bewiesen, stellte er hier an und kam zu dem Schluß, daß der Tsadsee einst dieses nahezu wagerechte Land von Tubori und Wulia bedeckt haben müsse, in dessen Thonboden er dieselbe aus halb zersetzten Süßwassermuscheln bestehende Kalkschicht fand, die auch unter Kuka liegt. Der südliche Theil dieses Tieflandes, das von seltsam gestalteten Granitfelsen „die ersten Steine seitdem man Agadem (16° 52′ N. B.) verlassen“ begrenzt ist, war, als ihn V. sah, in einen einzigen großen See verwandelt, wie man seitdem so manchen als vorübergehende Erscheinung auf der wasserreichen Hochfläche Afrikas im Süden und Norden des Aequators kennen gelernt hat. V. glaubte an einen wirklichen großen Landsee, seine ersten kurzen Angaben darüber wurden zu früh in die Oeffentlichkeit getragen, vergrößert und gezeichnet, sodaß Petermann in einer eindringenden Kritik in den Geograph. Mittheil. 1857 den ephemeren Charakter dieses Sees nachzuweisen sich gedrungen sah, wobei sich die heute noch feststehende Folgerung ergab, daß es sich hier um gewaltige Ueberschwemmungen der trägen Oberläufe des zum Benuë gehenden Kebbi handle. Wir wissen jetzt, daß eine wahre Kette von Sümpfen, die zeitweilig zu Seen werden, von da zum Fluß von Logon, zum Schari und bis zum Bahr Kuti zieht und die schon von Denham vermuthete Verbindung des Schari- und Benuë-Systems ist in einem gemeinsamen Ueberschwemmungsgebiet gerade zwischen Kebbi und dem Fluß von Logon zu suchen. Die Briefe Vogel’s von dieser Reise enthalten manche interessante Angabe über die Vegetation des südlichen Centralsudan und die heidnischen Bewohner, die Musgu, auf die hier von den Bornuanern Jagd gemacht wird. Mitte Juni zurückgekehrt, ging er schon am 19. Juli nach dem Gebirgslande Mandara, wo er auf Betrieb des Scheichs einen Monat in Mora festgehalten wurde; er entkam nach Udje in Südbornu. Der ihm allmählich günstiger gestimmte Scheich hob die Beschränkung der freien Bewegung des Reisenden auf, versprach seine weiteren Reisen zu unterstützen und versah ihn gleich nach der Rückkehr mit vortrefflichen Empfehlungen nach Jakoba, wohin nun V. mit aller Macht strebte, um, wie er hoffte, das Dampfboot auf dem Benuë zu erreichen und über Mandara zurückzukehren. Als nun außerdem in den ersten Tagen des December 1854 Scheich Omar den Thron Abdurrahman’s einnahm, wurden die Verhältnisse noch günstiger, denn Scheich Omar bezeichnete sich gern als Freund der europäischen Reisenden und übertrug auf V. die Neigung, die er für Barth hegte. V. bewegte sich freier und machte eine Anzahl von kleinen Ausflügen, nachdem er die Beobachtungen und Sammlungen von der Musgu-Reise geordnet hatte. Auf einem von diesen war es, daß er auf dem Wege nach Sinder, wo er Nachrichten [104] und Vorräthe erwartete und dessen Lage er genau bestimmen wollte, in dem großen Walde von Kundi mit Barth zusammentraf. Man lese im fünften Band der Barth’schen Reise S. 378 die Beschreibung dieses Zusammentreffens; es ist eine der schönsten Scenen in der bunten Reihe der Erlebnisse europäischer Reisender in Afrika, eine wohlthuende Idylle inmitten von Unruhen, Anstrengungen, fiebernden Hoffnungen und Enttäuschungen. Die freudige Begrüßung, das Erstaunen Vogel’s den todtgeglaubten Barth zu sehen, die Aufklärung des Räthsels, daß er einen arabischen Brief Barth’s bei sich trug, den dieser vor kurzem von Kano geschrieben und den V., ihn von einem Araber wähnend, uneröffnet zu sich gesteckt hatte, ihr nur zweistündiger Aufenthalt, den nur eine Tasse Kaffee und zur Enttäuschung des des Kaffees überdrüssigen Barth kein Wein verschönte, das alles muß man in Barth’s lebendiger Erzählung lesen, um es mitzuerleben. Während Barth sich in Kuka erholte und zur Heimreise vorbereitete, ging V. am 20. Januar 1855 mit dem englischen Ingenieur-Unterofficier Macguire über Gombeh nach Jakoba, das noch von keinem Europäer erreicht worden war, wo er aber von dem Gouverneur so schlecht empfangen wurde, daß er sich unverweilt mit einem einzigen Diener zu dem Herrscher begab, der drei Tagereisen nordwestlich von hier im Krieg mit einem Nachbarstamme lag. Er wurde hier besser aufgenommen, mußte aber, da man ihm die Abreise erschwerte, trotzdem er von der unter der Truppe herrschenden Dysenterie schwer litt, heimlich das Lager verlassen. In den letzten Tagen des April kam V. über Jakoba an den Benuë, wo er die Spuren der englischen Tschaddaexpedition von 1854 fand, überschritt den Strom in Hamarrua, fand aber durch kriegerische Verwirrungen, die der Aufstand der Batschama gegen den Herrn von Adamaua hervorrief, den Weg nach Jola versperrt und mußte endlich, als die Karawane, der er sich anschließen wollte, eine halbe Tagereise von seinem Lager bis auf zwei Mann hingemordet war, nach langem Warten über Gombeh und Saria (Seg-Seg) zurückkehren. Dieser Weg führte durch die Gebiete der bisher sagenhaften menschenfressenden Yem-Yem (Nyamnyam) und in Saria fand V. eine der größten, wenn auch nicht volkreichsten Städte Innerafrikas. Durch genaue Bestimmung setzte er die Beobachtungen Clapperton’s und der Tschaddaexpedition in Verbindung. Er fand die Erinnerung an Clapperton und Lander noch lebendig, die 1826 und 1827 die Stadt besucht hatten. Nach Jakoba zurückgekehrt, setzte ihn ein Geschenk von 10000 Kauris des Kleinfürsten von Hamarrua (am Benuë) in die Lage von neuem nach Süden vorzudringen, aber die Ueberschwemmungen hemmten dieses Mal sein Vorschreiten und er erreichte nicht einmal das nächste Ziel jenseits des Benuë, Ukali. Nach Wochen des Wartens in den in Sümpfen erbauten Strohhütten der amphibischen Kohna, mit denen er der Jagd des Ajuh (Manatus) und des Nilpferdes oblag, kehrte er über Gombeh am 1. December nach Kuka zurück. Barth, der Kuka am 10. Mai verlassen, hatte ihm den größten Theil seines verfügbaren Geldes übergeben und ihm durch die Mitnahme des englischen Unterofficiers Church, der V. den Gehorsam verweigert hatte, einen großen Dienst erwiesen. Auch die Pässe und Empfehlungen des Herrschers von Sokoto ließ er in Vogel’s Händen. Schon am 4. December schrieb V. an das Auswärtige Amt: Ich werde alsbald nach Fittri und von da nach Wara abreisen. Finde ich bei meiner Rückkehr anfangs Mai keine Nachricht aus Mursuk, so gehe ich über Adamaua an die Westküste und hoffe, mit Gottes Hülfe, im Beginn des Jahres 1857 entweder an der Mündung des Flusses Camerones (unser Kamerun) oder über Salia in Ibo einzutreffen. Würde ich weitere Waaren im Werthe von 1800 bis 2000 Franken erhalten, so könnte ich die Recognoscirungen Barth’s in Baghirmi fortsetzen und ginge dann erst im October nach Adamaua … Ich wünsche Innerafrika [105] nicht sobald zu verlassen und werde es nicht eher thun als bis ich sicher bin, daß ich auf keine weiteren Hilfsmittel zu hoffen habe“. In einem Brief vom 5. December an seinen Vater, seinem letzten Lebenszeichen, spricht er ebenfalls die Hoffnung aus, Anfang oder Mitte 1857 an der Westküste anzukommen und kündigt an, daß er „in etwa 20 Tagen eine Recognoscirung nach Wadaï, womöglich bis Wara“ machen werde. Den guten Stand seiner Gesundheit nach allen Anstrengungen der 10monatlichen Reise im Westen und Süden hebt er in diesem Briefe selbst hervor.

Nur aus Erkundigungen wissen wir, daß V. wahrscheinlich in den ersten Tagen des Jahres 1856 sich nach Massena, der Hauptstadt Baghirmis begab, während er, sicher zurückzukehren, Macguire in Kuka mit den Papieren und Sammlungen ließ. Dem Rathe Barth’s folgend, scheint er in Massena die Rückkehr eines Boten abgewartet zu haben, den er an den Fürsten von Wadaï gesandt hatte, um seine Ankunft anzuzeigen oder um Einlaß in Wadaï zu bitten. Nach Munzinger’s Nachricht ist er einen Monat hier gewesen. Er besuchte dann zuerst die Länder Fittri und Midogo und hat vielleicht die Rückkehr des Boten nicht abgewartet oder verfehlt. Ein Bericht des Scheich Omar war so zu verstehen, daß er in das nördliche Wadaï eindrang, wo vielleicht Boten des Fürsten von Wadaï ihn im Wadi Orahda fanden und nach Wara oder der neuen nahen Hauptstadt Abeschr geleiteten. Wir wissen aber aus den Angaben des Ende 1862 in Tripolis aufgetauchten Dieners Vogel’s und auch aus Nachtigal’s Bericht (Saharâ und Sudân III, 106 u. 171), daß der Fürst Mohammed Scherif ihn anfangs nicht unfreundlich aufnahm. Möglich daß in Wadaï seine zu erwartende Ankunft auch schon durch eine Empfehlung bekannt geworden war, die der hilfreiche Freund Vogel’s, Oberst G. F. Herman, britischer Consul in Tripolis, an den Agenten des Wadaïherrschers in Bengasi laut Brief vom 28. August 1854 gesandt hatte. V. bewegte sich frei in der Stadt und ihrer Umgebung, konnte aber mit den Eingeborenen sich nicht gut verständigen, da er des Arabischen zu wenig mächtig war. Diese schöpften Verdacht, weil er rastlos umherstreite, zeichnete und „mit einem Stabe“ schrieb, ja es scheint ihnen sogar mißfallen zu haben, daß er Hühnereier aß, „wie doch kein anständiger Mann zu thun pflegt“. Nach den Nachrichten, die Munzinger in El Obeid sammelte, wollte Verdacht geschöpft werden, da ein gewisser Dscherma, bei dem V. einquartiert war, dessen Reitpferd zu erlangen wünschte. Dieser Höfling, ein Aquid (Heerführer), scheint den Fürsten auf das Treiben des blonden, helläugigen Fremdlings aufmerksam gemacht zu haben. Mohammed Scherif, ein blutdürstiger Tyrann, war ohnehin den Fremden übel gesinnt. Er hatte vor kurzem einen Scherif aus Bengasi umbringen lassen, der im Verdacht stand, ein türkischer Spion zu sein. Sollte nicht dieser Abd el Wâhid auch ein Spion sein, gesandt, um nach den Mördern des früher Ermordeten zu spähen? Mohammed Scherif soll auf die Anklage des Höflings geantwortet haben: „Wenn dem so ist, so ist es jedenfalls sicherer, du läßt ihn tödten.“ So wurde V., als er mit Leuten seines Anklägers arglos in die Umgegend der Stadt ging, in der Nähe einiger Granitfelsen, die man später Nachtigal zeigte, von jenen mit eisenbeschlagenen Knütteln oder Keulen erschlagen. Dieses dürfte in den ersten Tagen des Februar geschehen sein, wo dann V. etwa zwei Wochen in Wara gewesen wäre, was auch mit anderen Nachrichten stimmt. Es ist möglich, daß zu den Gründen der Unthat auch noch eine unbewußte Verletzung heiliger Orte kam, nach Erkundigungen, die Neimans in Dscheddah von Pilgern aus Wadaï einzog und nach der Aussage eines über die Reisen Barth’s, Overweg’s und Vogel’s sehr gut unterrichteten Gesandten des Fürsten von Dar For an den ägyptischen Vicekönig, eines heiligen Berges mit Ahnengräbern, den nur ein neuer Fürst [106] vor der förmlichen Thronbesteigung besucht; bei dessen Besteigung sei V. getödtet worden. Wer Nachtigal’s späte Erzählung mit Beurmann’s und Munzinger’s Berichten vergleicht, die in den Geogr. Mittheilungen 1862 erschienen, den muß ihre für V. ungünstige Haltung erstaunen. Es spricht daraus das Gefühl der Ueberlegenheit des orientalischen Diplomaten, für den sich Nachtigal gerne hielt. Ob sich der gewandteste, der Sitten und Sprachen mächtige Europäer unter den gefährlichen Umständen, die zu Vogel’s Zeit in Wadaï herrschten, wieder aus der Löwenhöhle herausgefunden hätte, darf bezweifelt werden. Nachtigal betont diese Umstände zu wenig. Moritz v. Beurmann hörte, als er 1862 von Bengasi nach Wadaï wollte, daß seit 6 Jahren alle Verbindungen in dieser Richtung aufgehört hätten, und zwar sei die erste Ursache die Plünderung der vom Wadaïfürsten entsandten Handelskarawane durch Malteser bei Audschila gewesen, wobei dreißig Glieder der Karawane zu Sklaven gemacht wurden. Unglaublicherweise sollte der Pascha von Tripolis seine Zustimmung zu dieser Verletzung des Völkerrechts gegeben haben. Der unglückliche V. ist nicht lange nach der Nachricht von dieser Unthat in Wara eingetroffen und mußte fremdes Unrecht büßen, wie denn Mohammed Scherif, als er sie erfuhr, geschworen haben soll, keinen Christen lebendig aus seiner Gewalt entkommen zu lassen. Noch lange tauchten zwar da und dort Nachrichten auf, daß V. lebe und gefangen gehalten werde und belebten mehrmals wieder die tiefgesunkenen Hoffnungen der Seinigen. Noch 1861 meldete Robert Hartmann diese Nachricht aus dem Munde eines Fulbe-Pilgers. Aber die Todesnachricht, seitdem sie im Frühjahr 1857 durch Nachrichten des Scheichs von Bornu und des Unterofficiers Macguire nach Tripolis und Europa gelangt war, trat überall mit so großer Bestimmtheit und ganz gleich inbezug auf Ort, Zeit und Personen auf, daß Kenner der Verhältnisse wie Barth, Petermann oder der Freund Vogel’s, Generalconsul Herman in Tripolis, von Anfang an von ihrer Richtigkeit überzeugt gewesen sind. In Darfor, Wadaïs östlichem Grenzland, scheint die Nachricht ungefähr zur selben Zeit wie in Tripolis angelangt zu sein, Baikie erfuhr sie am Benue von Hadschis, die über Wadai aus Mekka zurückgekehrt waren. Als 1859 Briefe des Scheichs von Bornu, der einen Boten nach Wadai gesandt hatte, die Nachricht bestätigten, 1862 die deutsche ostafrikanische Expedition in Chartum und Kordofan die näheren Umstände des Todes erfuhr, die im allgemeinen M. v. Beurmann’s Erkundigungen in Bengasi (1862) bestätigten und in demselben Jahre ein Diener Vogel’s in Tripolis erschien und ausführlich den Tod seines Herrn erzählte, blieb kein Zweifel mehr übrig. Seitdem dieser Reisende selbst an der Grenze von Wadai erschlagen wurde, hoffte man höchstens noch Vogel’s Tagebücher zu erlangen; auch dies vergebens.

V. war noch nicht 24 Jahre alt, als er seine Reise antrat. Seine astronomische Ausbildung war vollendet, als erster Wiederentdecker des Encke’schen Kometen hatte er sich sogar schon Ruhm gewonnen, seine Beobachtungsgabe und sein Talent für Beschreibung und Zeichnung waren von der Schule her gut entwickelt, seine botanischen Kenntnisse nicht gering. Seine Körperkraft und Ausdauer und sein Wagemuth zeigte sich schweren Aufgaben gewachsen. Als er nach Afrika ging, sollte er an die Seite zweier schon erprobter Forscher treten, Barth’s, der als allgemeiner Beobachter, Völker- und Sprachkenner hervorragte, und des tüchtigen Geologen und Geographen Overweg. Seine Hauptaufgabe sollte die Schaffung genauester Grundlagen der Karte sein; gerade dafür war seine astronomische Vorbildung die beste, die man wünschen konnte. Nun stellte ihn der Tod Overweg’s und die lange Abwesenheit Barth’s, an dessen Leben selbst in Kuka Niemand mehr glaubte, allein allen Aufgaben gegenüber. Mit jugendlichem Muth ging er allem entgegen, konnte aber nicht allem gewachsen sein. [107] Er empfand vielleicht am meisten selbst seine geringen Kenntnisse des Arabischen, der Cultursprache des Sudan. Wäre er ihrer mächtig gewesen, so würde er wahrscheinlich selbst in Wadai die Unschuld seiner Absichten haben beweisen und sich retten können. Für uns bleibt am meisten zu bedauern, daß wir nicht die reifen Früchte seiner Arbeit, nicht einmal seine spätern Beobachtungen erhalten haben, sondern nur die Erstlinge seiner Studien, den Niederschlag seiner allerersten Eindrücke. Petermann schrieb am 9. November 1855, als er die Berichte über das Musguland verarbeitete, „ich habe, ohne der Gewissenhaftigkeit eines guten Chroniklers Einbruch zu thun, ein Paar Ausdrücke in Eduard’s Briefen ausgelassen oder motivirt, weil sie aus purem jugendlichem unbedachten wissenschaftlichen Eifer (hervorgegangen) und mir etwas ‚starker Tobak‘ schienen“. Hätte der junge Reisende seine Tagebücher und Briefe später selbst mit Muße und bei der unter solchen Prüfungen rasch fortschreitenden Reise herausgeben können, wie ein Barth, Rohlfs, Nachtigal, sein Werk würde sich anders vor uns erhoben haben. Er hat sich nicht einmal die Mühe genommen, die Ergebnisse seiner zweimaligen Reise über den Benuë vollständig herauszuarbeiten. Seine Tagebücher sind nie zu Tage gekommen, die von der Wadaireise sind in Wadai verschollen und die vorher durch seinen früheren Begleiter den Unterofficier Macguire nach Europa gesandten Aufzeichnungen sind bei dem Ueberfall durch Kelowi bei dem Brunnen Belkaschifarri (n.w. von Kuka), dem dieser erlag, ebenfalls verloren gegangen. In der heutigen Geographie der Sahara und des Sudan gehören zwar seine Ortsbestimmungen zu den besten Bausteinen. Seine Bestimmungen haben alle wichtigen Punkte des Weges Tripolis-Mursuk-Kuka, den Tsadsee und das Land zwischen diesem und dem Benue zuerst wissenschaftlich festgelegt. Seine Höhenmessungen haben die Overweg’schen trefflich vervollständigt. Aber wie wenig ist das im Vergleich zu dem, was er in seinen drei afrikanischen Jahren erforscht hatte und was er uns ausgearbeitet geboten hätte! Und doch wird Eduard V. immer eine hervorragende Stelle in der Geschichte der Afrikaforschung einnehmen. Die zwischen Todtsagen und Wiederauflebenlassen schwankenden Nachrichten hielten Jahre lang das deutsche Publicum in einer Theilnahme fest, die durch die unverhoffte Rückkehr des ruhmgekrönten Barth (1855), den Tod Roscher’s nach einem ersten großen Erfolge und die erste Reise von der Decken’s (beide 1860) noch gesteigert wurde. Von den Personen wandte sich das Interesse wachsender Kreise der Sache zu. Afrika wurde zum ersten Mal in Deutschland populär, Petermann sorgte in seinen damals in mehr als 3000 Exemplaren verbreiteten Geographischen Mittheilungen dafür, daß das Feuer nicht erlosch, Barth, A. v. Humboldt und Karl Ritter schenkten ihre thätige Theilnahme. Schon Ende 1857 bereitete sich v. Neimans, der früh hingerafft wurde, zu einer Rettungsexpedition vor, die von Osten nach Wadai eindringen sollte. Damals hatte Brugsch von Mekkapilgern die Nachricht empfangen, V. lebe in Wadai. Auch den französischen Arzt Dr. Cuny, der von Kordofan nach Dar For vordrang und in Tendelty Ende 1858 starb oder enthauptet wurde, hatte mit das Schicksal Vogel’s veranlaßt, Wadai zum Ziel zu wählen. Petermann schrieb Anfangs 1860 in den Geographischen Mittheilungen, er hoffe, daß sich noch ein dritter Mann und vielleicht noch mehrere finden würden, den ehrenvollen Versuch zu erneuern. „Könnten sie auch Eduard V. und seine Papiere nicht mehr retten, so würden sie sich doch den Dank des deutschen Volkes und der ganzen gebildeten Welt erwerben, wenn es ihnen gelänge die Zweifel zu lösen und nebenbei würden sie eine Reise ausführen, die für immer eine glänzende Stelle in den Annalen der geographischen Entdeckungen einnehmen würde“. Am 15. Juli 1860 bildete sich in Gotha unter dem Vorsitz des Herzogs Ernst eine Vereinigung zur Aussendung einer deutschen Expedition, [108] die nach Wadai vordringen sollte, der sich vorher gebildete Vereinigungen in Nürnberg und Leipzig anschlossen. Mit deutschen Kräften und Mitteln sollten die Länder zwischen dem Nil und dem Tsadsee erforscht und das Schicksal Vogel’s und seines wissenschaftlichen Nachlasses aufgehellt werden. Th. v. Heuglin erklärte sich bereit, die Expedition zu führen. Ende 1860 waren bereits über 10000 Thaler gezeichnet. Zu rasch wurde nun der Plan erweitert und leider durch die Zuziehung weiterer Theilnehmer (Steudner, Munzinger, Kinzelbach) der Grund zu Zwistigkeiten gelegt, an denen das Unternehmen scheitern sollte. Anfang März waren die Mitglieder der Expedition in Alexandria vereinigt und gingen im Juli von Massaua nach Westen, wo sich dann bald durch den unseligen Plan Heuglin’s, den weiten Umweg über Abessinien und Kaffa zu machen, die Trennung vollzog. Heuglin kam nicht über Abessinien hinaus und die mit Munzinger westwärts gezogene Abtheilung überschritt nicht einmal die Grenze von Kordofan. Unterdessen war M. v. Beurmann am 13. Febr. 1862 von Bengasi nach Wadai aufgebrochen, fiel aber an der Westgrenze dieses Landes schon im Frühjahr 1863. Rohlfs hatte auf seiner Reise nach Bornu 1866 die Wiedererlangung der Tagebücher Vogel’s im Auge und ging dann bekanntlich nach Westen, nach Lagos. In demselben Jahre traten noch Erkundigungen des englischen Consuls Petherick in Chartum ans Licht, die im allgemeinen die bisherigen Nachrichten bestätigten und als endlich Nachtigal im J. 1873 nach Wadai gelangte, hatte das Mitleid mit Vogel’s Schicksal bereits einer kritischen Auffassung Platz gemacht, die seinen Tod oberflächlicher und ungerechtfertigter Weise seiner eigenen Unvorsichtigkeit zuschrieb. Nachtigal argwöhnte zwar, daß noch Papiere von seinem beklagenswerthen Vorgänger vorhanden sein könnten, konnte aber durchaus nichts darüber erfahren.

Die Briefe Eduard Vogel’s, Berichte u. s. w. im Besitz der Familie. – Nachrichten in den Bänden der Geographischen Mittheilungen und der Berliner Gesellschaft f. Erdkunde von 1853 bezw. 1853–1864. – Petermann’s Nekrolog in den Geogr. Mittheilungen 1864, S. 28. – Elise Polko, Erinnerungen an einen Verschollenen. Aufzeichnungen von und über Eduard Vogel, 1863. – Nachtigal, Sahara und Sudân III, 169–73.