Schule und Werkbank
Schule und Werkbank.
Eine tief eingreifende Reform in der Erziehung, besonders der männlichen Jugend, also eine Culturbewegung ersten Ranges, sendet seit einigen Jahren ihre erfrischenden Fluthwellen auch über unser deutsches Vaterland: man will die Schule mit dem Leben, die Theorie mit der Praxis, das Wissen mit dem Können inniger verschmelzen als bisher, oder mit anderen Worten: man will die Werkbank neben die Schulbank setzen; der Knabe soll die erworbene geistige Intelligenz unmittelbar praktisch bethätigen lernen, man will ihm nicht nur Güter des Wissens, man will ihm auch schwer wiegende materielle Güter mit auf den Lebensweg geben – die Intelligenz der Hand – er soll das Eine durch das Andere stützen, befestigen und erweitern lernen.
Diese Reform, so jung sie auch ist, hat ihre Geschichte, an die ich schon des Raumes wegen hier nicht herantreten kann; wer sie nachlesen will, findet in Nr. 4, Jahrgang 1880 der „Gartenlaube“ einen gedrängten Abriß aus der berufenen Feder Karl Biedermann’s. Hier sei nur wiederholt, daß der kräftigste Anstoß von Dänemark aus erfolgte, daß der gesammte skandinavische Norden mit Einschluß Finnlands unaufhaltsam von der praktischen Idee ergriffen worden ist und daß dort schon zahlreiche Handfertigkeitsschulen gegenwärtig in erfreulicher Blüthe stehen. Die Seele der Bewegung in Dänemark, der rührigste Apostel, wird den Lesern kaum mehr ein Fremdling sein – es ist der dänische Rittmeister Clauson von Kaas.
In Deutschland hat die Reform in den meistbetheiligten, in den Lehrerkreisen, vielfach Opposition wachgerufen, und auch viele Handwerker sehen scheelen Blickes auf die vermeintlichen Rivalen in den Schulwerkstätten; nichtsdestoweniger greift sie doch um sich. In Berlin, in Görlitz, in Emden beschäftigen sich Vereine damit, und in letzterer Stadt konnte bereits vor zwei Jahren ein Cursus mit sechszig Theilnehmern in’s Leben treten, der den Zweck hatte, Lehrkräfte für den Handfertigkeitsunterricht heranzubilden.[1] Den gleichen Zweck, wie in Emden, verfolgt der gegenwärtige Cursus im alten Cadettenhause zu Dresden. Die Initiative hierzu ergriffen fast gleichzeitig die beiden gemeinnützigen Vereine zu Dresden und Leipzig unter Leitung der Herren Stadtrath Bönisch, [547] Dr. Birch-Hirschfeld, Schuldirector Kunath, Werkzeugfabrikant Wermann, Dr. Götze, Geh. Schulrath Kockel, Geh. Reg.-Rath Böttcher und Professor zur Strassen.
Beide Vereine übernahmen Garantien und hatten die Genugthuung, bei dem Ministerium des Innern auf Sympathien zu treffen, sodaß auch die sächsische Regierung ansehnliche Mittel bewilligte. Das Finanzministerium gab passende Räumlichkeiten dazu her; das Cultusministerium ertheilte den theilnehmenden Lehrern den nöthigen Urlaub; man berief den Meister von Emden, Herrn Clauson von Kaas, auch als Führer und Meister nach Dresden, und die ausgesandten Circulare erregten lebhaftes Interesse. Das fesselnde Bild des Malers Limmer zeigt uns dreiundsechszig Theilnehmer in der flottesten Thätigkeit, und ich würde den Leser sofort ohne alle weiteren Umstände in die sang- und klangfröhliche Werkstätte einführen, wenn nicht gerade in letzter Zeit harte Verurtheilungen des Handfertigkeitsunterrichts, und zwar von gewichtigen Seiten, laut geworden wären. Diesen muß ich zunächst entgegentreten.
Man fürchte jedoch keine pädagogischen Disputationen! Ich werde mich überhaupt hüten mit dem gelehrten Deutschland zu hadern; auch ist die reinpädagogische Seite durch die neueste Broschüre des Herrn Clauson von Kaas[2] erschöpfend behandelt worden; nur als praktischer Mann, als ein Mann, der selbst den Handwerkerschurz getragen, der seine Hand in mannigfachen Dingen üben mußte, bevor er die Feder ergriff, möchte ich einige Worte reden.
Zuerst möchte ich mich gegen die Opposition der Handwerker wenden, die sich besonders in Emden fühlbar gemacht hat. Die Handwerker haben meiner Ueberzeugung nach von diesen Bestrebungen nur Gutes zu hoffen und nichts zu fürchten. Was hat denn die Handwerke am meisten niedergebracht? Die unselige Waarenunkenntniß der Käuferwelt. Wie wenige Menschen wissen ein gutes Stück Arbeit von einem schlechten zu unterscheiden! Und in neunzig unter hundert Fällen giebt der Preis den alleinigen Ausschlag. So ist es gekommen, daß die Handwerker ihr Heil nur zu oft im Unterbieten finden und sich am geringeren Material und an der geringeren Arbeit schadlos zu halten suchen. Die Schulwerkstätten werden keine Concurrenten der sonst schon nicht auf Rosen gebetteten Handwerker schaffen; dazu sind die Ziele zu eng gesteckt; der Hausfleiß wird Niemandem auch nur ein Butterbrod wegnehmen, er wird aber das Verständniß für ein gutes Stück Arbeit im Volke vermehren, und das wird beitragen, die Schundpreise und die Schundwaare in den Kehrichtwinkel des Arbeitsmarktes hineinzufegen, wohin sie gehören.
Ich gebe nicht sehr viel darauf, daß der neue Lehrling aus der Handfertigkeitsschule schon manche Kenntniß des betreffenden Handwerks mit zum Lehrmeister bringt, ich kann es aber nicht hoch genug anschlagen, daß er verschiedene Verrichtungen aus verschiedenen Handwerken erlernte und so seinen praktischen Gesichtskreis erweiterte, und daß er sie nach einem bestimmten System erlernte. Ich weiß es aus eigener Erfahrung. Die Systemlosigkeit in der Anweisung der Lehrlinge in den Werkstätten ist ein Unglück der Handwerkerjugend, und wenn hier ein Stück Pädagogik eingeimpft werden könnte, so würde es ein Segen für die Menschheit sein. Oft besteht die ganze Anweisungskunst des Meisters in der abgeleierten Phrase: „Der Lehrling muß mit den Augen stehlen.“ Wollte er das Kind beim rechten Namen nennen, so müßte er sagen: „Du mußt Dir selber helfen; ich verstehe es nicht, Jemandem etwas beizubringen.“ Zweifellos wird auch mit der Schuldisciplin an der Werkbank der Sinn für Ordnung wachsen, und man wird vielleicht später nicht so viele Werkstätten finden, in denen vor Abfällen, Geräthen und Gerümpel ohne Gefahr gar nicht vorwärts zu dringen ist.
Im Uebrigen richtet der Dilettantismus nirgends großen Schaden an, und erfahrungsgemäß nimmt Niemand mehr den Tischler und den Drechsler in Anspruch, als wer zu Hause selbst an der Hobelbank baut und leimt. In Skandinavien freilich hat sich der Unterricht viel mehr als bei uns auf die Selbsthülfe zuzuspitzen, weil in den nordischen Einöden die Handwerker meilenweit entfernt wohnen. Bei unseren hochentwickelten Industrien, unserer Arbeitstheilung, aus der ja einst auch die Handwerke entstanden sind, wird der Dilettantismus an der Werkbank niemals concurrenzfähig werden, und zudem ist das auch gar nicht die Absicht der obersten Leiter. Dagegen wird der Schüler aus der Schulwertstätte Achtung vor dem Arbeiter und seiner Arbeit mit in’s Leben hineintragen; denn er wird erfahren, daß die Arbeit einen ganzen Mann fordert, und noch durch die dickste gelehrte Brille wird er allezeit hindurch erkennen, daß eben die Arbeit einzig und allein die Grundsäule der Cultur bildet.
Mit den pädagogischen Einwänden will ich, wie ich Eingangs versprach, mindestens nicht in gelehrtem Stile rechten, nur das Eine wird man mir zugeben müssen: daß heute eine Menge producirtes Wissen in den Sand verrinnt oder unverwerthet verborgen bleibt, weil der Träger desselben in seiner einseitigen, rein geistigen Erziehung in der praktischen Welt draußen nichts damit anzufangen weiß. Der Handfertigkeitsunterricht soll die bisherigen Schuldisciplinen nicht einschränken, nein, er soll das Erstrebte nur besser verwerthen lernen. Man glaube ja nicht, daß es sich beim Hobeln und Feilen nur um einen guten Hobelstoß und einen guten Feilenstrich handelt! Nein, der Blick in das praktische Leben wird bei solcher Arbeit geschärft; wer sich im Kleinen behelfen lernt, wird sich auch im Großen leichter behelfen können; die Welt wird ihm praktisch verständlicher; die mannigfachen Arbeiten, die er geübt, werden ihm zum Schlüssel einer ganzen Kette der bedeutsamsten Culturfactoren werden.
Als nächstliegende Folgen dürfen wir die Bildung des Formensinns bezeichnen; sodann wird sich das Auge leichter in allen Größenverhältnissen zurecht finden, und ich müßte mich sehr täuschen, wenn Derjenige, der einen Winkel mit dem Auge richtig einstellen lernt, nicht auch ein Geschütz gut einstellen und ein guter Artillerist werden sollte.
Die ermöglichte Selbsthülfe in kleinen häuslichen Dingen ist natürlich auch nicht zu verachten, wenngleich ich ihr keinen so hohen Werth beilege, wie Meister Clauson von Kaas. Wichtiger scheint mir der gesundheitliche Werth der Arbeit. Mir ist kaum eine turnerische Uebung bekannt, die alle Muskeln so wohlthätig anstrengte, wie die Trennsäge, mit der man nicht vor sich, sondern unter sich schneidet.
Die Gegner führen an, der Handfertigkeitsunterricht absorbire die Aufmerksamkeit zu sehr, und die anderen Disciplinen müßten darunter leiden; der Schüler brauche seine freie Zeit zur Erholung nöthiger; die Schule sei ferner berufen, des Lebens Ideale hochzuhalten, und der Schüler sei vor dem zu frühzeitigen Gedanken an Arbeit und Erwerb zu schützen, damit der Ernst des Lebens nicht die Blüthe der Jugend knicke etc.
Das sind gewiß Gründe, die uns Sympathien abzwingen, aber ich sehe nicht ein, warum die Ideale durch eine vierstündige Handarbeit, wie sie Clauson von Kaas per Woche verlangt, in der Schule sinken sollten; sie erhalten eher Zuwachs; denn es kommt ganz auf den Lehrer an, die Arbeit selber, das Lebenselement der Gesellschaft, unter die Ideale zu rücken.
Im Sommer will Clauson von Kaas den Handfertigkeitsunterricht ganz einstellen, weil hier die Gartenarbeit seine pädagogischen Absichten völlig erfüllt, und die vier Stunden per Woche werden wohl in der übrigen Zeit mit einigem guten Willen unterzubringen sein. Die geistige und die körperliche Thätigkeit concurriren ja nur wenig mit einander. Warum laufen wir denn meilenweit spazieren, wenn wir den Kopf überangestrengt haben? Es ist das ein Beweis, daß der Körper selbst nach einem Ausgleiche verlangt. An den allzufrühen Ernst, der schädlich auf das Gemüth des Knaben wirken soll, kann ich auch nicht recht glauben; das Kind faßt Alles kindlich auf, selbst schweres Unglück der Eltern, und dann müßte auch der äußerst wohlthätige Unterricht der weiblichen Handarbeiten wieder aus der Schule verbannt werden; er steuert ja gleichfalls dem späteren Erwerbe zu, wenigstens bei den unteren Volksschichten. Wir finden nichts Besonderes darin, daß auch die junge Dame, die späterhin nur noch selten eine Nadel zur Hand nimmt, sich in weiblichen Handarbeiten unterrichten läßt, und wir wollten etwas Verwerfliches darin erblicken, daß der Knabe die populärsten Werkzeuge gebrauchen lernt? Gewiß, wie Jene, wenn sie nähen lernt, eine umsichtigere Gebieterin im Hause werden wird, so wird der an der Werkbank unterrichtete Knabe einmal ein umsichtigerer Hausherr werden, wenn er auch nicht mehr Säge und Hammer selbst führt.
Auf eine Gefahr, die meines Wissens von den Gegnern bisher unberührt geblieben, will ich selbst aufmerksam machen; sie liegt darin, daß der Hausfleiß leider nicht selten zu einer [548] Leidenschaft ausartet. Es liegt eben eine unbeschreibliche Selbstbefriedigung in diesen selbstgefertigten Dingen, und zuweilen wird die Eitelkeit noch genährt durch übermäßige Anerkennung und Bewunderung seitens der Umgebung.
Auch die Handwerker werden zuweilen von dieser verhängnißvollen Leidenschaft ergriffen; sie vergessen über ihre Lieblingsarbeiten den Erwerb und die Brodarbeiten, und mir selbst sind Tischlermeister bekannt geworden, die an eingelegten Tischplatten zu Grunde gingen. Weit öfter verbeißt sich natürlich der Laie in seine Liebhabereien, und bei ihm ist das doppelt gefährlich, weil diese in der Regel gar nichts mit seinem sonstigen Beruf zu thun haben. Doch auch diese Gefahr kann mich nicht irre machen; wer wollte eine gute Sache verdammen, weil damit Mißbrauch getrieben werden kann? Auch giebt es Viele, denen das Schicksal in ihrem Beruf wenig Geld und reichlich freie Zeit zumaß; bei ihnen wird diese Leidenschaft zum Segen werden; sie schmücken sich ihr Heim mit selbstgefertigten Arbeiten aus, machen sich’s dadurch lieber und werther und pflegen so unbewußt die Tugend der Häuslichkeit.
Und nun den längst versprochenen Gang nach der neueingerichteten Dresdener Lehrwerkstätte!
Gleich beim Eintritt begegnen wir Meister Clauson von Kaas, dem Ausbauer des Fröbel’schen Erziehungssystems. Der Leser wird den liebenswürdigen und charaktervollen Kopf auf dem beigegebenen Bilde ebenso leicht herausfinden, wie man ihn sofort an Ort und Stelle als das Haupt der großen Werkstätte erkennt. Mit Unverdrossenheit beantwortet er die tausend technischen Fragen seiner dreiundsechszig Scholaren und mit freundlicher Ruhe waltet er seines Amtes bald als Lehrer, bald als Rathgeber, bald als Vermittler oder Schiedsrichter, um darauf sofort wieder an seinen Schreibtisch zurückzukehren; denn er führt genau Buch und Rechnung über Alles, was in der Werkstätte geschieht. Nebenher verfaßt er Repliken und Vertheidigungsschriften für seine Reform – nicht stark und streitbar, aber tief durchdacht und immer getragen von einer wahren und anheimelnden Humanität.
Wir wissen, wir haben keine Meister, sondern Anfänger vor uns, und darum können auch die Einzelarbeiten keinen Anspruch auf eingehende Beschreibung erheben; um so voller genießt das Auge den Gesammteindruck. Vor Allem ist es die großartige Betriebsamkeit, von welcher die ganze Schaar erfaßt worden ist, und dann sind es die eigenartigen Arbeitergruppen. Hier setzt ein Schuldirector seinen Hobel an und hobelt Alles gleich; dort flicht ein würdiger Cantor in derselben feierlichen Haltung, mit der er des Sonntags die Orgel spielt, einen Kartoffelkorb, und daneben setzt ein Candidat der Theologie die Drehbank mit einer so überlegenen Sicherheit in Bewegung, als hätte er im Leben nichts gethan, als Feilenhefte gedreht, und von dem „Schlossersgesellen“, der nach dem Volkslied „gar langsam gefeilt hat“ und der gar nicht so selten sein soll, ist hier keine Spur zu entdecken. Die frohmüthige Rührigkeit hat den Brüsseler Professor van Kalken, den die belgische Regierung nur zur Berichterstattung hierher sandte, so unwiderstehlich ergriffen, daß er selbst den Schurz vorband und die Hemdsärmel aufstreifte, um den ganzen Cursus mitzumachen, und ich habe ihn mit Hobel und Säge hantiren sehen, daß es eine Lust war.
Die Theilnehmer zahlen für den sechswöchentlichen Cursus insgesammt 40, beziehentlich 60 Mark für Wohnung, für Materialverbrauch und als Lehrgeld; natürlich deckt das die Kosten bei [549] weitem nicht, und wir deuteten schon früher an, wer für den Ausfall einsteht. Im Cadettenhause selbst sind große Schlafsäle eingerichtet worden mit je sechszehn bis achtzehn Betten, und die Frau Hausmeisterin sorgt für einfache, aber kräftige und dabei billige Mittagskost.
Die „dreiundsechszig Herren Lehrjungen“, wie sie sich scherzweise selber nannten, sind sechs Werkmeistern (Abtheilungslehrern) unterstellt, und der Stundenplan ist so eingerichtet, daß Jeder einen vollen Arbeitstag zu acht Stunden auf jede der eingeführten Branchen verwenden kann. Somit ist der Theilnehmer während des Cursus sechs Tage lang Tischler, sechs Tage lang Bildschnitzer; gleich lange wird gebuchbindert; die Metallarbeiten und die Laubsäge nehmen dieselbe Zeit in Anspruch, während die Korbmacherei sich mit drei Lehrtagen begnügen muß. Die gefertigten Arbeiten werden Eigenthum ihrer Urheber, doch müssen dieselben dem Comité zu einer Ausstellung am Schlusse des Cursus überlassen werden.
Jede Woche hält Clauson von Kaas vor den theilnehmenden Herren Vorträge über Handfertigkeit und Hausfleiß, um den Lehrern auch theoretisches Material für ihre Schulen mit zu übergeben; eine Conferenz der Lehrer unter sich findet auch statt, um gegenseitige Anschauungen und Erfahrungen auszutauschen, und die Sonntage sind gemeinsamen Ausflügen in die herrliche Dresdener Umgebung vorbehalten. In einem Nebensaale findet sich eine Fachbibliothek für Handfertigkeitsunterricht aufgestellt, über deren Umfang man erstaunen muß, wenn man an die Jugend der ganzen Bestrebung denkt. Ein warmer Freund des Unternehmens sandte ein gutes Pianino zur musikalischen Erquickung nach gethaner Arbeit.
Mir will die Kürze des Cursus ein wenig bedenklich erscheinen. Die Herren sollen ja das Erlernte weiter lehren, müssen also bis zu einem gewissen Grade der Sache Meister sein. Doch ist die Umsicht anzuerkennen, mit der man die elementaren Verrichtungen der betriebenen Handwerke auswählte. Es wird dadurch jedem Theilnehmer möglich werden, sich selbst weiter fortzuhelfen, und das geschieht ja auch bekanntlich in anderen Lehrfächern, indem man Andere belehrt; auch hofft Clauson von Kaas, daß die Herren bei den Handwerkern weitere Lehre suchen. Indessen, längere Curse bleiben auf jeden Fall wünschenswerth, und sie werden auch vom Meister selbst angestrebt.
Die Tischlerei beginnt mit der Trennsäge. Nachdem eine Latte abgetrennt, wird sie quadratisch gehobelt (auch auf dem Hirnholz). Dem „Schenkel“ folgt die Herstellung eines runden Stabes, und dann beginnt man mit der schwereren, mit der Flächenhobelei. Ist das Hobeln geübt, dann werden Gebrauchsgegenstände gebaut, zuerst gewöhnlich ein Messerkästchen. Im Anfang nagelt man die Ecken; beim nächsten Kästchen werden sie schon verzinkt. Hierauf erweitert der Lernende seine Kenntniß der Holzverbindungen durch eine Fenster- und zum Schluß durch eine Stuhlbeinverzapfung, und damit hat man allerdings das ABC der Tischlerei hinter sich.
In der Buchbinderei wird mit einer einfachen Mappe begonnen, und das Endziel findet man in dem Einband eines Buches mit Lederrücken. Mannigfaltiger sind die Papparbeiten, die sich dem Buchbinden anschließen, und sind hier besonders die geometrischen Pappfiguren zu erwähnen, die als doppeltes Lehrmittel für die Jugend gelten können.
Eine allerliebste Technik, höchst unterhaltend und dankbar für den Hausfleiß, ist die Bildschnitzerei. Sie fordert verhältnißmäßig wenig Werkzeug, und die Handfertigkeit kann sich hier am weitesten [550] ausbilden. Die Arbeiten haben Dauer, repräsentiren eine gewisse Solidität, verlangen Exactheit und Sorgfalt, und man kann bei ihrer Herstellung gleichzeitig den Sinn für Formenschönheit üben. Auch unter den Theilnehmern zeigt sich eine besondere Lust für diese Branche; ich sah Anfängerarbeiten, bei denen man mir auf Ehrenwort versichern mußte, daß sie von Anfängern herrührten.
Für die Laubsäge-Abtheilung habe ich mit dem besten Willen keine Sympathien in mir erwecken können. Das ewige Fitscheln mit der Laubsäge ist kaum eine Technik zu nennen; die Ornamente bleiben immer flach, schablonenhaft und nichtssagend; zudem nimmt man den Holzflächen durch das gebräuchliche übermäßige Ausschneiden den Halt und die Erzeugnisse gleichen allzu sehr Conditoreiwaaren, während man berechtigt ist, bei dem sonst so soliden Rohmaterial auch stabile Arbeiten zu verlangen. In Verbindung mit der Bildschnitzerei und bei Einlege-Arbeiten kann die Laubsäge allerdings in ihrer Mission bedeutend gehoben werden, doch dazu werden sechs Wochen sich zu kurz erweisen.
Die Metallarbeiten sind noch nicht obligatorisch eingeführt. Jetzt beginnt man mit Drahtgegenständen, und das ist nur anzuerkennen. Der Draht im Haus ist das für den Hausvater, was der Flickzwirn für die Hausfrau darstellt. Später will man physikalische Schulapparate fertigen.
Clauson von Kaas möchte gern noch weitere Branchen einführen, wenn nicht die leidige Kürze des Cursus zwingend dagegen spräche. Er hat mancherlei Musterarbeiten aus dem Norden mitgebracht, die vielleicht Anstoß zu weiteren Hausindustrien geben könnten; so sah ich Koffer und Hutschachteln aus Stroh und Haselnußrinde geflochten, mit denen ein englischer Fothballclub glaube ich jahrelang seinen Sport treiben könnte – so dauerhaft sind sie gearbeitet.
Vielleicht giebt man bei künftigen Handfertigungscursen das Eine auf und setzt das Andere dafür ein. Als Sohn eines Landwirths könnte ich für Landschulen die Riemerei empfehlen. Wie oft reißt und platzt etwas an Schiff und Geschirr, und wie oft steht ein armer Tropf von Fuhrmann hülflos an der Landstraße! Ein Pfriemen und ein Riemen in der Schoßkelle und die nöthige Fertigkeit in der Hand kann mancher Verlegenheit vorbeugen. In die Metallbranche sollte man unbedingt das Härten von Messerklingen etc. aufnehmen. Eine Schneide, die nicht stehen will, ist beinah schlechter als gar keine Schneide, und mit wie wenig Handgriffen kann dem oft abgeholfen werden!
Nun, die Entwickelung des Handfertigkeitsunterrichts hat ja eben erst begonnen; als Freund der Sache berührte ich die Mängel absichtlich, um nicht in den Verdacht der Voreingenommenheit zu gerathen und um auch bei dem Gegner Vertrauen zu gewinnen. Nur die Discussion kann weitere Klarheit schaffen, und möchte ich daher wünschen, daß mit der negirenden Resolution der Kasseler Lehrerversammlung wenigstens das Discutiren der Frage nicht in’s Stocken gerathe und sich die Kluft zwischen Schulbank und Werkbank nicht noch mehr erweitere.
Die heutige Zeit fordert alle Intelligenz heraus, auch die Intelligenz der Hand, und wenn die Lehrerwelt auch dieser nachstrebt und sie auf die Jugend überträgt, so wird nach meiner innersten Ueberzeugung die Schule das erst im vollsten Sinne werden, was sie sein muß: eine Vorbereitung für’s Leben.